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   Provokation gelang, davon zeugt die wechselvolle Geschichte der Überlie-
   ferung von Citronia. Dieses formal vollendete (regelmäßiges jambisches
   Versmaß sowie alternierender Reim) und thematisch anstößige Gedicht
   schließt aber mit einem eher rätselhaften Nachwort, über dessen Zugehö-
5  rigkeit zum Gedicht Reinhardts Kopie keinen Zweifel zuläßt. Nun liefert
   gerade das Nachwort den Schlüssel zum Gedicht. In ihm wird zunächst
   für die Poesie die alte Chiffre der blauen Blume wieder aufgegriffen, aber
   nur zu dem Zweck, eine paradox- und grotesk-realistische Erklärung die-
   ser symbolischen Farbe zu versuchen, für die zunächst in hypothetischem
10  (aber in Wirklichkeit verneinendem) Ton die blaue Nase von Novalis'
   Braut herangezogen wird, um dann zur wahrscheinlicheren Erklärung
   überzugehen, nach der Mag vielleicht von blauer Farb' / Ein Strumpfband
   gewesen seyn. Mit anderen Worten: selbst eine große Dichtung wie die des
   Novalis' (an Heines Hochschätzung von Novalis' Poesie ist nicht zu zwei-
15  feln, s. im Nachwort selbst die V. 88–90) birgt nicht nur erhabene stoff-
   liche Impulse, sondern auch gemeine bis frivole Anlässe können ihr Aus-
   gangspunkt sein. Das bedeutet eine provokatorische und radikale Abwer-
   tung der Bedeutung des lyrischen Stoffes. Citronia mag als der Versuch
   angesehen werden, ein wertvolles Gedicht über ein nicht nur ungewöhn-
20  liches, sondern sogar skandalöses und verpöntes Thema zu schreiben.
   Citronia ist demnach nicht nur Heines Hang zur Herausforderung, beson-
   ders auf erotischem Gebiet, zuzuordnen, sondern soll auch als poetologi-
   sches Dokument gelesen werden, das die potentielle Eignung eines jeden
   beliebigen, somit auch nach traditonellen Maßstäben unpassenden Sujets
25  für die Lyrik verkündet. Heines Isolierung und Abgetrenntheit von sei-
   nem Publikum in den letzten Lebensjahren, die damit verbundene teil-
   weise falsche Einschätzung der Aufnahmefähigkeiten seiner Leser (was
   ihm wiederholt von Campe vorgeworfen wird, vgl. z. B. HSA XXVII, 28ff.,
   60ff., 104ff., 155ff., 169ff., 179ff.), sowie möglicherweise eine gewisse
30  Gleichgültigkeit bezüglich Publikumsreaktionen auf Schriften, die nie zu
   Lebzeiten des Dichters erscheinen würden, mochten bei der Radikalisie-
   rung seiner Vorstöße in poetisches Neuland eine gewisse Rolle gespielt
   haben. Außer auf Citronia sei in dieser Hinsicht auf Das Hohelied
   (S. 283f.) und Beine hat uns zwey gegeben (S. 400ff.) hingewiesen.
35 404,2 Flügelkleid] laut Grimm (III, 1842) ein leichtes jugendliches
   gewand mit hängenden ermeln. Es gilt traditionell als Symbol für die
   Kindheit. Unter vielen anderen wird ein Wieland–Zitat angeführt: ihr
   hüpfet noch im ersten flügelkleide.
  404,11 Frau Hindermans] vgl. Heinrich Heine. Eine Ausstellung zum
40  175. Geburtstag, Düsseldorf 1972, S. 8: Den ersten Unterricht erhielt
   Heinrich Heine bei Jungfer Susanne Wilhelmine Hindermann. Sie war
   seit Februar 1771 Schulmeisterin der Reformierten Kinderschule und
   unterrichtete alle kleinen Kinder, Knaben und Mädchen der Gemeinde,
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