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| | Kapitel VI. |
| | Es war aber ein gar lieblicher Frühlingstag, als ich zum erstenmahl |
| | die Stadt Hamburg verlassen. Noch sehe ich wie im Hafen die gold- |
5 | | nen Sonnenlichter auf die betheerten Schiffsbäuche spielen, und ich |
| | höre noch das heitre langhingesungene Hoiho! der Matrosen. So ein |
| | Hafen im Frühling hat überdies die freundlichste Aehnlichkeit mit |
| | dem Gemüth eines Jünglings, der zum erstenmahl in die Welt geht, |
| | sich zum erstenmahl auf die hohe See des Lebens hinauswagt – noch |
10 | | sind alle seine Gedanken buntbewimpelt, Uebermuth schwellt alle |
| | Seegel seiner Wünsche, Hoiho! – aber bald erheben sich die Stürme, |
| | der Horizont verdüstert sich, die Windsbraut heult, die Planken kra- |
| | chen, die Wellen zerbrechen das Steuer, und das arme Schiff zer- |
| | schellt an romantischen Klippen oder strandet auf seicht-prosai- |
15 | | schem Sand – oder vielleicht morsch und gebrochen, mit gekapptem |
| | Mast, ohne ein einziges Anker der Hoffnung, gelangt es wieder heim |
| | in den alten Hafen, und vermodert dort, abgetakelt kläglich, als ein |
| | elendes Wrak! |
| | __Aber es giebt auch Menschen, die nicht mit gewöhnlichen Schiffen |
20 | | vergleichen werden dürfen, sondern mit Dampfschiffen. Diese tragen |
| | ein dunkles Feuer in der Brust und sie fahren gegen Wind und Wetter |
| | – Ihre Rauchflagge flattert wie der schwarze Federbusch des nächt- |
| | lichen Reuters, ihre Zackenräder sind wie kolossale Pfundsporen, |
| | womit sie das Meer in die Wellenrippen stacheln, und das widerspen- |
25 | | stisch schäumende Element muß ihrem Willen gehorchen, wie ein Roß |
| | – aber sehr oft platzt der Kessel, und der innere Brand verzehrt uns. |
| | __Doch ich will mich aus der Metapher wieder herausziehn und auf |
| | ein wirkliches Schiff setzen, welches von Hamburg nach Amsterdam |
| | fährt. Es war ein schwedisches Fahrzeug, hatte außer den Helden die- |
30 | | ser Blätter auch Eisenbarren geladen, und sollte wahrscheinlich als |
| | Rückfracht eine Ladung Stockfische nach Hamburg, oder Eulen |
| | nach Athen bringen. |
| | __Die Ufergegenden der Elbe sind wunderlieblich. Besonders hinter |
| | Altona, bey Rainville. Unfern liegt Klopstock begraben. Ich kenne |
35 | | keine Gegend wo ein todter Dichter so gut begraben liegen kann wie |
| | dort. Als lebendiger Dichter dort zu leben, ist schon weit schwerer. |
| | Wie oft hab ich dein Grab besucht, Sänger des Messias, der du so |
| | rührend wahr die Leiden Jesu besungen! Du hast aber auch lang |
| | genug auf der Königstraße hinter dem Jungfernsteeg gewohnt, um |
40 | | zu wissen, wie Propheten gekreuzigt werden. |