Dieses ist mein Testament, wie ich es eigenhändig zu Paris den sieben und
 zwanzigsten September achtzehnhundert sechs und vierzig niedergeschrieben
 habe.
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   Obgleich ich von der Natur und vom Glücke mehr als andre Menschen
15begünstigt ward; obgleich es mir zur Ausbeutung meiner Geistesgaben weder
 an Verstand noch an Gelegenheit gebrach; obgleich ich, aufs engste befreundet
 mit den Reichsten und Mächtigsten dieser Erde, nur zuzugreifen brauchte um
 Geld und Aemter zu erlangen: so sterbe ich dennoch ohne Vermögen und
 Würden, im Exil und arm. Mein Herz hat es so gewollt, denn ich liebte immer
20die Wahrheit und verabscheuete die Lüge. Meine Hinterlassenschaft ist daher
 sehr gringfügig und ich sehe mit Betrübniß, daß ich meine arme Ehefrau,
 die ich, weil ich sie unsäglich liebte, auch unsäglich verwöhnte, verhältniß-
 mäßig mit ihren Bedürfnissen in einem fast an Dürftigkeit grenzenden Zu-
 stande zurücklasse. Wie dem auch sey, die spärlichen Besitzthümer, die meinen
25Nachlaß ausmachen, vermache ich meiner Ehefrau Mathilde Crescentia
 Mitteilung zu: MiraHeine, geborene Mira die, eben so treu wie schön, mir das Daseyn erheitert
 hat. – Die Herren Sichel Dr M. und M. Mignet, secretaire perpetuel de
 l'academie des sciences morales et politiques, die mir schon so viele Liebes-
 dienste erwiesen, beauftrage ich mit der Vertretung aller Erbschaftsinteressen
30meiner Frau, so wie überhaupt mit der Excekuzion dieses Testamentes. –
 Meinen Freund und Verleger Julius Campe bitte ich es dergestalt einzurichten,
 daß die Pension die ich als Honnorar meiner Gesammtwerke von ihm be-
 ziehe und die er nach meinem Tode ebenfalls lebenslänglich meiner Frau
 auszuzahlen hat, von derselben hier in Paris und womöglich in monathlichen
35Terminen bezogen werden kann. – Was das Jahrgehalt betrifft, das mir mein
 seliger Oheim Salomon Heine zugesagt und das nach meinem Tode zur
 
  Februar 1847 — HSA Bd. 22, S. 242
 
 Hälfte auf meine Wittwe übergehen sollte, so bitte ich meinen Vetter Carl Heine
 der rührend zarten Vorliebe zu gedenken, womit sein Vater immer meine Frau
 behandelt hat, und ich hoffe er wird ihr jene kleine Summe in einer Weise
 zusichern, die weder zu späteren Demüthigungen noch zu Kümmernissen
5Anlaß geben kann; ich zweifle nicht daß nach meinem Hinscheiden sein
 großmüthiges Herz sich wieder der Freundschaft erinnern wird, die uns einst
 so innig verbunden und deren Verlust mir den tödtlichsten Seelengram ver-
 ursacht hat. – Obgleich ich hoffe die Herausgabe meiner Gesammtwerke
 noch selber besorgen zu können, so kann ich doch nicht umhin hier zu be-
10 stimmen, daß, stürbe ich bevor diese Arbeit vollbracht, die Herren Drs Her-
 man Detmoldt zu Hanover und Heinrich Laube zu Leipzig beauftragt
 sind mich hier zu ersetzen, und es wäre mir genehm, wenn letzterer, Heinrich
 Laube, der meine persönlichen Privatverhältnisse am besten kannte, mit einem
 Mitteilung zu: Lebensabri###223;kurzen Lebensabriß die Gesammtausgabe begleiten wollte.
15  Ich verordne, daß mein Leichenbegängniß so einfach sey und so wenig kost-
 spielig wie das des gringsten Mannes im Volke. Sterbe ich zu Paris, so will
 ich auf dem Kirchhofe des Montmartre begraben werden, auf keinem andern,
 denn unter der Bevölkerung des Faubourg Montmartre habe ich mein liebstes
 Leben gelebt. Obgleich ich der lutherisch protestantischen Confession an-
20 gehöre (wenigstens offiziell) so wünsche ich doch in jenem Theile des Kirch-
 hofs beerdigt zu werden, welcher den Bekennern des römisch katholischen
 Glaubens angewiesen ist, damit die irdischen Reste meiner Frau, die dieser
 Religion mit großem Eifer zugethan ist, einst neben den meinigen ruhen
 können; wird mir eine solche Vergünstigung von der christlichen Barmherzig-
25 keit der französischen Geistlichkeit bewilligt, so wünsche ich, daß man mir in
 der erwähnten Abtheilung des Gottesackers ein Erbbegräbniß kaufe; zeigen sich
 aber klerikale Schwierigkeiten so genügt mir ein Terrain der wohlfeilsten Art.
   Meiner edlen und hochherzigen Mutter, die so viel für mich gethan, so
 wie auch meinen theuren Geschwistern, mit denen ich im ungetrübtesten Ein-
30verständnisse gelebt, sage ich ein letztes Lebewohl: Leb wohl, auch Du,
 deutsche Heimath, Land der Räthsel und der Schmerzen; werde hell und glück-
 lich. Lebt wohl Ihr geistreichen, guten Franzosen, die ich so sehr geliebt
 habe! Ich danke Euch für Eure heitre Gastfreundschaft. –
   
   Geschrieben zu Paris den sieben und zwanzigsten September achtzehnhun-
35 dert sechs und vierzig.
 
Heinrich Heine.
 
  Februar 1847 — HSA Bd. 22, S. 243
 
  S p äte r e   N a c h s c h r i f t 
   
 Seitdem ich dieses Testament schrieb, hat eine Aussöhnung zwischen mir und
 meinem Vetter Carl Heine statt gefunden und die Ausdrücke womit ich ihm
 oben meine überlebende Gattinn empfahl sind heute nicht mehr die geziemen-
5Erläuterung zu: gesternden; denn als ich ihn  g e s t e r n  in dieser Beziehung sprach, beschämte er mich
 fast durch den Vorwurf, wie ich nur im mindesten daran zweifeln konnte,
 daß er nicht für meine Wittwe hinlänglich sorgen würde, und mit der lieb-
 reichsten Bereitwilligkeit übernahm er die Verpflichtung meiner Frau nach
 meinem Tode die Hälfte meiner Pension lebenslänglich auszuzahlen; – ja, er
10verrieth hier wieder sein ganzes edles Gemüth, seine ganze Liebe, und als er
 mir zum Pfande seines feyerlichen Versprechens die Hand reichte, drückte
 ich sie an meine Lippen, so tief war ich erschüttert und so sehr glich er in
 diesem Momente seinem seligen Vater, meinem armen Oheim, dem ich so
 oft wie ein Kind die Hand küßte wenn er mir eine Güte erwies! Ach, mit
15meinem Oheim erlosch der Stern meines Glückes! Ich bin sehr krank und
 wundre mich darüber wie ich alle diese Leiden ertrage. Trost und Stärkung
 finde ich allein in den Großgefühlen und unverwelkbaren Herrlichkeiten
 meines Bewußtseyns. – Paris den sechs und zwanzigsten Februar achtzehn-
 hundert sieben und vierzig.
20
Heinrich Heine.