Liebster Lehmann! | ||
Ihren freundlichen Brief habe ich gestern erhalten und beeile mich um so | ||
5 | mehr Ihnen zu schreiben, da ich Ihnen anzeigen muß, daß die Piècen, die Sie | |
mir zugeschickt haben, mir durchaus nicht zu Händen gekommen sind. Das | ||
Paket mit diesen kleinen Druckschriften, das Sie wahrscheinlich auf die | ||
Eisenbahn hieher gegeben, ist bis zu dieser Stunde nicht angekommen, und | ||
ich bitte Sie gefälligst darüber an die Behörden ein Rundschreiben zu erlassen; | ||
10 | ich hoffe, auf diesem Wege wird mir das Paket bald zukommen. Ich habe meine | |
Wohnung geändert, und wohne jetzt: aux Batignolles, 51, grande rue, Paris. | ||
Diese neue Wohnung, die ich comfortable einrichtete, werde ich dennoch | ||
gegen Ende dieses Monaths verlassen müssen, da die darin herrschende | ||
Feuchtigkeit mir eine Halsentzündung bereits zugezogen hat. | ||
15 | Ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihre Mittheilung in Betreff der Allge- | |
meinen Zeitung. Wenn nicht durch Zufall, erfahre ich jetzt gar nichts, da ich | ||
gänzlich isolirt lebe, und außer meinen beiden Sekretären, die beide zu anständig | ||
sind, um sich mit deutschem Klatsch zu beschäftigen, sehe ich keinen einzigen | ||
Deutschen. Mein Buchhändler schreibt mir nur was eben seine eigenen Inter- | ||
20 | essen betrifft. Aus Schonung wird mir auch vielleicht manches von dorther | |
verschwiegen, was sehr lächerlich ist, da ich bereits früher gegen alle Roh- | ||
heiten abgehärtet war, und jetzt gar den meisten weltlichen Eitelkeiten ab- | ||
gestorben bin. Meine Frau hat die meisten Deutschen von meinem Hause | ||
verscheucht, manchen sogar im wahren Sinn des Wortes hinausgeschmissen. | ||
25 | Auch sind viele in den letzten Jahren theils durch den Tod fortgerafft worden, | |
theils abgereist, oder sitzen in Irrenhäusern oder Zuchthäusern, so daß ich, | ||
wie ich Ihnen sage, vom Vaterlande nichts erfahre, was mir doch manchmal | ||
nothwendig wäre, in Fällen, wo ich einer bestimmten Lüge widersprechen | ||
müßte, und in dieser Beziehung wäre es mir sehr lieb, wenn Sie mir häufiger | ||
30 | schrieben; sicherlich kann mich nichts verletzen, und manches kann mich | |
sogar amüsiren. Dann auch, da ich, sobald ich wieder zur Ruhe komme, mich | ||
ganz in meine Memoiren versenken werde, kann irgend eine Mittheilung | ||
über Schicksale und Transformazionen landsmännischer alter Freunde für | ||
mich von einigem Nutzen seyn. Manchen glaube ich lebend, der längst todt ist, | ||
35 | und manchen glaube ich todt, der unterdessen bloß dumm geworden oder | |
schlecht. – Sie haben keinen Begriff davon, welch ein Furore des Beifalls | ||
mein Aufsatz in der Revue des deux Mondes gemacht hat. In einigen Wochen | ||
soll er ganz gedruckt in meinem Buch de l'Allemagne erscheinen, für welches | ||
Oktober 1854 — HSA Bd. 23, S. 378 | ||
derselbe als Schluß-Capitel geschrieben worden. Ich gebe meine Werke auf | ||
Französisch bei Michel Lévy frères heraus, die man mir als Verleger empfahl. | ||
Ich hatte die Wahl zwischen ihnen und einem andern Verleger, der ein ehe- | ||
maliger Bonnetier, das heißt baumwollener Nachtmützenfabrikant war, und | ||
5 | ich gab erstern den Vorzug, vielleicht eben weil sie vom Stamme Levy. Ich | |
glaube, daß Herr Lévy darum nicht minder ein ehrlicher Mann ist und mein | ||
Vertrauen verdient, und wenigstens ich, sollte ich mich auch zu meinem | ||
größten Schaden irren, ich darf vom alten Vorurtheil gegen die Juden | ||
mich nicht leiten lassen. Ich glaube, wenn man sie Geld verdienen läßt, so | ||
10 | werden sie wenigstens dankbar seyn, und uns weniger übervortheilen als ihre | |
christlichen Collegen. Die Juden überhaupt sind geistig zurück, aber nicht | ||
moralisch. Eine große Civilisazion des Herzens blieb durch eine ununter- | ||
brochene Tradition von zwei Jahrtausenden. Ich glaube, sie konnten deß- | ||
halb auch so schnell theilnehmen an der europäischen Cultur, weil sie | ||
15 | eben in Betreff des Gefühls nichts zu erlernen hatten, und nur das Wissen sich | |
anzueignen brauchten. Doch das wissen Sie alles besser wie ich, und es mag | ||
Ihnen nur als Wink dienen zum Verständniß dessen, was ich in meinen »Geständ- | ||
nissen« gesagt habe. Aber wenn ich auch Campe den Auftrag gebe dasselbe | ||
Ihnen zu senden, so bekommen Sie es gewiß doch erst an dem Tage, wo | ||
20 | auch der Messias eintrifft, wenn er, der alten Tradition nach, auf einem Esel | |
kommt und nicht die Eisenbahn benutzen will. | ||
Es ist mir unendlich lieb, daß Sie das was ich Ihnen über die Gasbeleuch- | ||
tungs-Flouerie des wackern Herrn Friedland gesagt, nicht vergessen haben; | ||
er hat meinen Bruder Gustav wirklich durch die abgefeimtesten Lügen von | ||
25 | seiner Verfolgung meiner Interessen abzustehen vermocht, und er spekulirt | |
auf meine Krankheit, die ihn von jeder Ahndung eines Morgens befreien | ||
würde. Er irrt sich aber sehr. | ||
Ich weiß kaum was ich diktire, so schläfrig macht mich nämlich der Ueber- | ||
genuß des Opiums, und ich schließe, indem ich Ihnen nochmals für Ihre Güte | ||
30 | danke und Sie freundschaftlichst grüße. | |
Heinrich Heine. | ||