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| | | Nr. 43; Bd. 2, Spalten 1351–1352) konnte man unter der Überschrift Eine |
| | | Sage von der Entstehung der Heine'schen Nordseebilder folgendes lesen: |
| | | Doktor Ch ........ in L ....... ein Freund Heine's, heißt es in unserer |
| | | Mittheilung, erzählte vor einiger Zeit, daß Heine im Jahre 1826 mit einer |
| 5 | | Fluth von Eindrücken von Helgoland aus nach Hamburg zurückgekehrt sei. |
| | | Aber er hätte zur Darstellung dieser bunten Bilder und Gestalten, trotz aller |
| | | Mühe und alles Suchens keinen seinen Wünschen und Gedanken entspre- |
| | | chende Form finden können, und wäre darüber ganz verzweifelt gewesen. |
| | | Darauf zeigte ihm Ch ........, wie er sagt, die Goethe'schen Hymnen: Gany- |
| 10 | | med, Gesang der Geister über den Wassern, Prometheus, Grenzen der Mensch- |
| | | heit u.s.w. u.s.w. dieses Schönste der Lyrik aller Zeiten, das Heine merkwür- |
| | | diger Weise noch nicht oder wenigstens nur oberflächlich kannte. Sobald |
| | | Heine diese reimlosen Weisen gelesen, fällt er Ch ........ weinend um den |
| | | Hals und ruft begeistert aus: Jetzt habe ich, was ich brauche. Danach soll |
| 15 | | Heine sich gleich ans Werk begeben haben. Daß er nicht sofort die für seine |
| | | neuen Themen passende metrische Form fand, wird von einem anderen |
| | | Jugendfreund, Eduard Wedekind, bestätigt. Auch er berichtet von Heines |
| | | Schwanken und Zweifeln: Man kann aus diesen Gedichten sehen, wie keck |
| | | wahre Originalität seyn darf. Und doch hat diese anscheinend leichte Form |
| 20 | | dem Dichter viel gekostet, ehe er sie traf; Heine hat mir selbst gesagt, daß er |
| | | über die Form, in welcher er den Gegenstand dieser Gedichte habe darstellen |
| | | wollen, lange nicht mit sich habe einig werden können (Werner/Houben I, |
| | | 100). |
| | | __Unter den Zeitgenossen erwähnte keine andere Stimme eine mögliche An- |
| 25 | | lehnung an Goethes Jugendhymnen, die im Grunde genommen aber nicht |
| | | auszuschließen ist, insbesondere für die großen Gedichte des zweiten Zyklus, |
| | | welche 1826 verfaßt wurden, eben in der Zeit, in welcher die Anekdote mit |
| | | Dr. Ch. in L. (d. h. Christiani in Lüneburg) spielt. Vielmehr als das hym- |
| | | nische wollte den Zeitgenossen das satirische Element in diesen Gedichten |
| 30 | | auffallen. Schon hatte Heine Roberts Episteln Xenien genannt; seine Nord- |
| | | seegedichte galten bald als kolossale Epigramme. Diese Benennung tauchte |
| | | zum ersten Mal in einer Rezension im Gesellschafter, 103. Blatt, den |
| | | 30. Juni 1826, S. 520, auf. Am Ende einer langen, sehr wohlwollenden und |
| | | eingehenden Besprechung wurde Die Nordsee gewürdigt: Beschluß des |
| 35 | | Buches machen Seebilder, ‹die Nordsee überschrieben. Diese Abtheilung |
| | | dünkt uns die gehaltvollste, und, nach Ausscheiden einiges Frevels, die wür- |
| | | digste. Hier beurkundet sich noch mehr als in der ‹Harzreise das bis zum |
| | | Genie gesteigerte Talent des Autors. Welche Naturschilderungen in wenigen, |
| | | aber markigen, für immer bezeichnenden Worten! Welche tiefgeschaute |
| 40 | | Eigenthümlichkeiten, reiche Beziehungen, leichtbewegte Gestalten! Hier zeigt |
| | | der Dichter seine echte Verbindung mit dem Ursprünglichen, der Natur so- |
| | | wohl als des Geistes; sein wahres Dichter-Talent zu s e h e n , zu b e - |
| | | z e i c h n e n ! Wir empfehlen besonders Nr. 1, 3, 4, 5, 9, 10, und würden |