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| | Wenn aber die Herren Schlegel für die Meisterwerke, die sie sich bey |
| | den Poeten ihrer Schule bestellten, keine feste Theorie angeben konn- |
| | ten, so ersetzten sie diesen Mangel dadurch, daß sie die besten Kunst- |
| | werke der Vergangenheit als Muster anpriesen und ihren Schülern zu- |
5 | | gänglich machten. Dieses waren nun hauptsächlich die Werke der |
| | christlich katholischen Kunst des Mittelalters. Die Uebersetzung des |
| | Shakespears, der an der Grenze dieser Kunst steht und schon prote- |
| | stantisch klar in unsere moderne Zeit hereinlächelt, war nur zu polemi- |
| | schen Zwecken bestimmt, deren Besprechung hier zu weitläuftig wäre. |
10 | | Auch wurde diese Uebersetzung von Herrn A. W. Schlegel unternom- |
| | men, zu einer Zeit als man sich noch nicht ganz ins Mittelalter zurück |
| | enthousiasmirt hatte. Später, als dieses geschah, ward der Calderon |
| | übersetzt und weit über den Shakespear angepriesen; denn bey jenem |
| | fand man die Poesie des Mittelalters am reinsten ausgeprägt, und zwar |
15 | | in ihren beiden Hauptmomenten, Ritterthum und Mönchsthum. Die |
| | frommen Comödien des kastilianischen Priesterdichters, dessen poeti- |
| | schen Blumen mit Weihwasser besprengt und kirchlich geräuchert |
| | sind, wurden jetzt nachgebildet, mit all ihrer heiligen Grandezza, mit |
| | all ihrem sacerdotalen Luxus, mit all ihrer gebenedeyten Tollheit; und |
20 | | in Deutschland erblühten nun jene buntgläubigen, närrisch tiefsinnigen |
| | Dichtungen, in welchen man sich mystisch verliebte wie in der Andacht |
| | zum Kreuz, oder zur Ehre der Mutter Gottes schlug, wie im standhaf- |
| | ten Prinzen; und Zacharias Werner trieb das Ding so weit wie man es |
| | nur treiben konnte, ohne von Obrigkeitswegen in ein Narrenhaus ge- |
25 | | sperrt zu werden. |
| | Unsere Poesie, sagten die Herren Schlegel, ist alt, unsere Muse ist ein |
| | altes Weib mit einem Spinnrocken, unser Amor ist kein blonder Knabe, |
| | sondern ein verschrumpfter Zwerg mit grauen Haaren, unsere Gefühle |
| | sind abgewelkt, unsere Phantasie ist verdorrt: wir müssen uns er- |
30 | | frischen, wir müssen die verschütteten Quellen der naiven einfältig- |
| | lichen Poesie des Mittelalters wieder aufsuchen, da sprudelt uns ent- |
| | gegen der Trank der Verjüngung. Das ließ sich das trockne dürre Volk |
| | nicht zweymal sagen; besonders die armen Dursthälse, die im märk- |
| | schen Sande saßen, wollten wieder blühend und jugendlich werden, |
35 | | und sie stürzten nach jenen Wunderquellen, und das soff und schlürfte |
| | und schlückerte mit übermäßiger Gier. Aber es erging ihnen wie der |
| | alten Kammerjungfer, von welcher man folgendes erzählt: sie hatte |
| | bemerkt, daß ihre Dame ein Wunderelixir besaß, das die Jugend wie- |
| | derherstellt; in Abwesenheit der Dame nahm sie nun aus deren Toilette |
40 | | das Fläschen, welches jenes Elixir enthielt, statt aber nur einige |