Mein theurer Bruder! Da ich doch einmahl verurtheilt bin, statt D i r zu dienen, | ||
5 | Dienste von Dir zu empfangen, so sollst Du auch heute eine Commission von | |
mir empfangen. Ich bitte Dich nemlich, suche mir meine frühesten Gedichte, | ||
nemlich das Bändchen das bey Maurer in Berlin erschienen, so wie auch meine | ||
Tragödien zu verschaffen, und schick sie hierher mir per Dampfschiff unter | ||
der Addresse von: Wanner, Langer & Co. Sag aber nicht an Campe daß Du | ||
10 | mir diese zwey Bücher geschickt hast; ich habe meine Ursachen. Giebt es dort | |
etwas Neues, irgend eine Novität die mich direkt interessiren könnte, so pack | ||
sie bey. – Kannst Du mir über die Wirkung meiner Menzeliade etwas sagen? | ||
Hier in Frankr seh ich und hör ich nichts. Die Nothwendigkeit daß ich | ||
Menzel endlich züchtigte wirst Du wohl begriffen haben. Mein größter | ||
15 | Wunsch wäre er schlüge sich. Acht Jahre lang ließ ich mich ruhig insultiren | |
und wartete bis er reif war. – Hier in Havre bleibe ich nur noch einige Tage, | ||
weiß aber nicht ob ich dann direkt nach Paris zurückkehre. Meine Badekur ist | ||
wieder verpfuscht. Vorig Jahr konnt ich nicht baden, weil ich die Gelbsucht | ||
hatte. Dies Jahr, vielleicht weil mich während der Letzten Zeit so viel Quäle- | ||
20 | reyen heimsuchen, bekommen mir die 15 Bäder die ich bis jetzt genommen | |
habe, sehr schlecht; wieder leide ich an Migränen, die 3 Tage mich quälen und | ||
zur Arbeit unfähig machen. Sogar neue Uebel melden sich. Aber ich bin ja | ||
seit wir uns nicht gesehen, acht Jahr älter geworden, und, bey dem gehetzten | ||
Leben, das ich führe, bey den geistigen und leiblichen Aufregungen der letzten | ||
25 | Jahren, hat sich gewiß die Avantgarde der Decrepitude schon eingestellt. | |
Auch Du bist gewiß der alte Max nicht mehr – oder besser gesagt, Du fängst | ||
gewiß jetzt an der alte Max zu seyn. Die Jugend ist dahin, und nach großen | ||
Feldzügen hat man das Recht müde zu seyn. – Wie es mir im Alter gehen wird? | ||
Ehrlich gesagt, ich wage nicht daran zu denken! Ich werde wahrscheinlich | ||
30 | die Zahl jener edelsten und größten Männer Deutschlands vermehren, die mit | |
gebrochenem Herzen und zerrissenem Rock ins Grab steigen. In Düsseldorf | ||
wird mir dann wohl ein Monument gesetzt werden. – An Onkel Heine werde | ||
ich mit dem zunächst abgehenden Dampfboote schreiben. Der Gedanke schon | ||
an diesem Brief erregt allen Mißmuth meiner Seele. Bey Gott, nicht Onkel, | ||
35 | sondern ich habe Grund zur Klage, ich bin wie geschunden von den schneidend- | |
sten Beleidigungen – und i c h soll um verzeihung bitten. Es giebt keine Opfer, | ||
welche ich für diesen Mann zu bringen nicht bereit wäre, und hätte er mir noch | ||
zehnmal mehr Kummer verursacht, ich hätte es gewiß längst verziehn, aber | ||
August 1837 — HSA Bd. 21, S. 227 | ||
es ist grausam hart, daß ich das himmelschreyende Unrecht, das er an mir be- | ||
geht, verschweigen soll. Ich bin kein falscher Mensch, sagt mein seliger Vater, | ||
und kann nur reden wie ich es wirklich fühle. Was kann er mir vorwerfen, als | ||
Irrespektuosität in W o r t e n , nicht in Handlungen, und das nur einmal wäh- | ||
5 | rend meines ganzen Lebens – während er doch wissen sollte, daß wir alle in | |
unserer Familie von aufbrausender Natur sind, und daß wir in der nächsten | ||
Stunde es bereuen, was wir Verletzendes gesagt haben. – Aber die Sache hat | ||
weit tiefere Bewanndniß, er ist froh einen Schein-Grund zur Unzufriedenheit | ||
gefunden zu haben. Ich hege daher keine große Hoffnung von dieser Seite. | ||
10 | Da ist chronische Verhärtung. Ich weiß nicht, ist es Blindheit oder Wahnsinn. | |
Ich habe wahrhaftig um zu dem Ansehen, das ich in der Welt erlangt, der Bey- | ||
hülfe meiner Familie nicht bedurft; daß aber die Familie nie das Bedürfniß | ||
fühlte dieses Ansehen, und sey es auch in den kleinsten Dingen, zu befördern, | ||
ist unbegreiflich. Ja, im Gegentheil, im Hause meines Oheims fanden diejenigen | ||
15 | Menschen eine gute Aufnahme, die notorisch als Gegner meiner Renommeen | |
bekannt waren. Ein miserabler Wurm, der Dr, der mich aufs gemeinste, nem- | ||
lich von Seiten der Geburt, angriff ward, wie man mir jüngst erzählt, bey | ||
meinem eignen Onkel zu Tische geladen und von meinem eignen Onkel bekam | ||
die alte Mamsel Spekter die er heuraten wollte, eine Ausstattung. Dieses | ||
20 | Gewürm paßte zusammen, denn in keinem Hause, wie ich durch Campe wußte, | |
hat man während meiner Anwesenheit in Hamburg schändlicher gegen mich | ||
als Schriftsteller raisonnirt, als im Specterschen Hause. Das ist nur e i n Bey- | ||
spiel. – Wir wollen sehen ob i c h Recht habe oder Du. | ||
Schreib mir doch viel, während Deiner Abwesenheit aus Rußland, besonders | ||
25 | gieb mir detaillirte Nachrichten über Mutter. – Ich werde Euch wohl nie | |
wiedersehen! – Wie ich mit Campe mich arrangirt wirst Du wohl wissen. Ich | ||
habe in der schlimmsten Zeit ihm meine bisherigen Omnia auf 11 Jahre für | ||
20,000 frcs verkauft – womit ich mich wenigstens vor Saint-Pelagie geschützt | ||
habe. Durch beyspiellose Niederträchtigkeit eines Freundes, für den ich mich | ||
30 | garantirt und bey dem ich Gelder deponirt, ward ich damals in eine heillose | |
Lage versetzt. Nur durch die größten Anstregungen gelang es mir, jede An- | ||
forderung zu genügen – und meinen Feinden keine Blöße zu geben. Das war | ||
die Hauptsache. Lebe wohl, handle für Deinen armen Bruder der Dich un- | ||
aussprechlich liebt. | ||
35 | H. Heine. | |
[Am linken Rand der letzten Seite] | ||
P. S. Dieser Brief ist nicht abgegangen und ich schick Dir ihn mitsamt dem | ||
Briefe an Onkel, den Du ihm ihm bey guter Gelegenheit mittheilen sollst. | ||
September 1837 — HSA Bd. 21, S. 228 | ||