Havre de Grace d 29 Aug 1837.
  

 
 Mein theurer Bruder! Da ich doch einmahl verurtheilt bin, statt  D i r  zu dienen,
5Dienste von Dir zu empfangen, so sollst Du auch heute eine Commission von
 Mitteilung zu: fr###252;hestenmir empfangen. Ich bitte Dich nemlich, suche mir meine frühesten Gedichte,
 nemlich das Bändchen das bey Maurer in Berlin erschienen, so wie auch meine
 Erläuterung zu: Trag###246;dienTragödien zu verschaffen, und schick sie hierher mir per Dampfschiff unter
 der Addresse von: Wanner, Langer & Co. Sag aber nicht an Campe daß Du
10mir diese zwey Bücher geschickt hast; ich habe meine Ursachen. Giebt es dort
 etwas Neues, irgend eine Novität die mich direkt interessiren könnte, so pack
 Erläuterung zu: Menzeliadesie bey. – Kannst Du mir über die Wirkung meiner Menzeliade etwas sagen?
 Hier in Frankr seh ich und hör ich nichts. Die Nothwendigkeit daß ich
 Menzel endlich züchtigte wirst Du wohl begriffen haben. Mein größter
15Wunsch wäre er schlüge sich. Acht Jahre lang ließ ich mich ruhig insultiren
 und wartete bis er reif war. – Hier in Havre bleibe ich nur noch einige Tage,
 weiß aber nicht ob ich dann direkt nach Paris zurückkehre. Meine Badekur ist
 wieder verpfuscht. Vorig Jahr konnt ich nicht baden, weil ich die Gelbsucht
 hatte. Dies Jahr, vielleicht weil mich während der Letzten Zeit so viel Quäle-
20Mitteilung zu: bis reyen heimsuchen, bekommen mir die 15 Bäder die ich bis jetzt genommen
 habe, sehr schlecht; wieder leide ich an Migränen, die 3 Tage mich quälen und
 zur Arbeit unfähig machen. Sogar neue Uebel melden sich. Aber ich bin ja
 seit wir uns nicht gesehen, acht Jahr älter geworden, und, bey dem gehetzten
 Leben, das ich führe, bey den geistigen und leiblichen Aufregungen der letzten
25Jahren, hat sich gewiß die Avantgarde der Decrepitude schon eingestellt.
 Auch Du bist gewiß der alte Max nicht mehr – oder besser gesagt, Du fängst
 gewiß jetzt an der alte Max zu seyn. Die Jugend ist dahin, und nach großen
 Feldzügen hat man das Recht müde zu seyn. – Wie es mir im Alter gehen wird?
 Ehrlich gesagt, ich wage nicht daran zu denken! Ich werde wahrscheinlich
30die Zahl jener edelsten und größten Männer Deutschlands vermehren, die mit
 gebrochenem Herzen und zerrissenem Rock ins Grab steigen. In Düsseldorf
 Erläuterung zu: Onkel Heinewird mir dann wohl ein Monument gesetzt werden. – An Onkel Heine werde
 ich mit dem zunächst abgehenden Dampfboote schreiben. Der Gedanke schon
 an diesem Brief erregt allen Mißmuth meiner Seele. Bey Gott, nicht Onkel,
35Mitteilung zu: Grundsondern ich habe Grund zur Klage, ich bin wie geschunden von den schneidend-
 sten Beleidigungen – und  i c h  soll um verzeihung bitten. Es giebt keine Opfer,
 welche ich für diesen Mann zu bringen nicht bereit wäre, und hätte er mir noch
 zehnmal mehr Kummer verursacht, ich hätte es gewiß längst verziehn, aber
 
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 es ist grausam hart, daß ich das himmelschreyende Unrecht, das er an mir be-
 geht, verschweigen soll. Ich bin kein falscher Mensch, sagt mein seliger Vater,
 Mitteilung zu: ichund kann nur reden wie ich es wirklich fühle. Was kann er mir vorwerfen, als
 Erläuterung zu: Irrespektuosit###228;t in WortenIrrespektuosität in  W o r t e n ,  nicht in Handlungen, und das nur einmal wäh-
5rend meines ganzen Lebens – während er doch wissen sollte, daß wir alle in
 unserer Familie von aufbrausender Natur sind, und daß wir in der nächsten
 Stunde es bereuen, was wir Verletzendes gesagt haben. – Aber die Sache hat
 weit tiefere Bewanndniß, er ist froh einen Schein-Grund zur Unzufriedenheit
 gefunden zu haben. Ich hege daher keine große Hoffnung von dieser Seite.
10Da ist chronische Verhärtung. Ich weiß nicht, ist es Blindheit oder Wahnsinn.
 Ich habe wahrhaftig um zu dem Ansehen, das ich in der Welt erlangt, der Bey-
 Mitteilung zu: aberhülfe meiner Familie nicht bedurft; daß aber die Familie nie das Bedürfniß
 fühlte dieses Ansehen, und sey es auch in den kleinsten Dingen, zu befördern,
 ist unbegreiflich. Ja, im Gegentheil, im Hause meines Oheims fanden diejenigen
15Menschen eine gute Aufnahme, die notorisch als Gegner meiner Renommeen
 bekannt waren. Ein miserabler Wurm, der Dr, der mich aufs gemeinste, nem-
 Mitteilung zu: der Geburtlich von Seiten der Geburt, angriff ward, wie man mir jüngst erzählt, bey
 Mitteilung zu: Onkelmeinem eignen Onkel zu Tische geladen und von meinem eignen Onkel bekam
 die alte Mamsel Spekter die er heuraten wollte, eine Ausstattung. Dieses
20Gewürm paßte zusammen, denn in keinem Hause, wie ich durch Campe wußte,
 hat man während meiner Anwesenheit in Hamburg schändlicher gegen mich
 als Schriftsteller raisonnirt, als im Specterschen Hause. Das ist nur  e i n  Bey-
 spiel. – Wir wollen sehen ob  i c h  Recht habe oder Du.
   Schreib mir doch viel, während Deiner Abwesenheit aus Rußland, besonders
25gieb mir detaillirte Nachrichten über Mutter. – Ich werde Euch wohl nie
 Erläuterung zu: Wie ichwiedersehen! – Wie ich mit Campe mich arrangirt wirst Du wohl wissen. Ich
 habe in der schlimmsten Zeit ihm meine bisherigen Omnia auf 11 Jahre für
 Erläuterung zu: Saint-Pelagie20,000 frcs verkauft – womit ich mich wenigstens vor Saint-Pelagie geschützt
 Mitteilung zu: michhabe. Durch beyspiellose Niederträchtigkeit eines Freundes, für den ich mich
30garantirt und bey dem ich Gelder deponirt, ward ich damals in eine heillose
 Mitteilung zu: AnstregungenLage versetzt. Nur durch die größten Anstregungen gelang es mir, jede An-
 forderung zu genügen – und meinen Feinden keine Blöße zu geben. Das war
 die Hauptsache. Lebe wohl, handle für Deinen armen Bruder der Dich un-
 aussprechlich liebt.
35
H. Heine.
 [Am linken Rand der letzten Seite]
   
   P. S. Dieser Brief ist nicht abgegangen und ich schick Dir ihn mitsamt dem
 Mitteilung zu: ihm ihmBriefe an Onkel, den Du ihm ihm bey guter Gelegenheit mittheilen sollst.
 
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