Lieber Max! Euren lieben Brief woraus ich ersehe, daß Ihr alle Narren seyd, | ||
habe ich eben erhalten und da in diesem Augenblick mein körperliches und | ||
geistiges Mißbehagen mir nichts Besseres zu thun erlaubt, so will ich auf der | ||
35 | Stelle Deine Zeilen erwiedern. Rathe mir als Arzt, was thu ich gegen mein | |
Kopfweh, das mich seit zwey Monath stärker als je heimsucht? Es ist vielleicht | ||
April 1834 — HSA Bd. 21, S. 83 | ||
Folge großer Geistesbewegung. Nicht als hätte ich in der letzten Zeit so viel | ||
gearbeitet, sondern vielmehr die Widerwärtigkeiten, die ich, in Folge der | ||
politischen Begebenheiten, zu erleiden hatte, verhinderten mich meistens am | ||
Arbeiten. Meine Lage ist nur von außen glänzend. Ich werde von den außer- | ||
5 | ordentlichsten Ehrenbezeugungen fast erdrückt. Du hast keine Idee davon | |
welche kolossale Reputazion hier auf mir lastet – aber das ist eine Last wie | ||
jede andere und hat genug Noth, Aerger, Verlegenheit, Mühe und Qual zur | ||
Folge. Ich begreife jetzt sehr gut warum alle berühmte Männer ein unglück- | ||
liches Leben geführt. | ||
10 | bad besuchen? Schlecht, eigentlich schlecht ist mir die See noch nicht be- | |
kommen. Hat mir aber vorig Jahr nicht viel geholfen. Auf jeden Fall kann ich | ||
erst August Paris verlassen, denn ich lasse jetzt meine Reisebilder ins Franzö- | ||
sische übersetzen, und mein Uebersetzer ist so schlecht daß ich die meiste | ||
Arbeit dabei habe. (Das Buch wird aber hier viel Spektakel machen.) Dann | ||
15 | habe ich noch eine Reihe Artikel über Deutschland zu schreiben, versprochene | |
Arbeit, die ich unterlassen würde wenn ich hier nicht enormes Geld brauchte. | ||
Enorme Summen seit einem Jahre ausgegeben. – Sag an Campe er kann ganz | ||
sicher seyn daß ich ihm bald Manuskript schicke. Die Zögerung liegt in den | ||
Zeitumständen, ich will jetzt nichts Politisches herausgeben (obgleich ich | ||
20 | dessen genug geschrieben), überhaupt ich will in dieser Reakzionsepoche nur | |
zahme Bücher herausgeben. – Welche Stücke mir die Preußen spielen, welche | ||
hinterlistige Schurkenstückchen, davon hast Du keinen Begriff. – Hätte ich | ||
nur keine Kopfschmerzen. | ||
just nicht überall amüsiren, konntest Du Dir wohl vorstellen, bey der jetzigen | ||
25 | Stimmung. Tröste Dich aber damit, daß das Buch selbst gut ist. Das Buch ist | |
wirklich gut. Die Verse sind schlecht, die Prosa aber ist vortrefflich. Ich ver- | ||
stehe das. Habs jetzt zum drittenmahl gelesen, und ich weiß nicht warum ich | ||
nicht gegen meinen eignen Bruder gerecht seyn soll. Die Deutschen haben | ||
wahrhaftig nicht viel Aehnliches in den letzten 3 Jahren hervorgebracht, | ||
30 | Besseres gewiß nicht. Ich weiß das es nicht leicht ist mit Leichtigkeit zu | |
schreiben, und gar über Krieg und Pest. Ich stelle Dein Buch den Briefen | ||
eines Verstorbenen an die Seite. Der Verfasser dieses letzten Buches, nemlich | ||
der Fürst Pükler, hat sich verschlechtert. Er hat mir sein Tutti frutti geschickt | ||
mit einem langen liebkosenden Briefe, hat aber mein Urtheil nicht damit be- | ||
35 | stechen können. Der beste deutsche Schriftsteller bin ich jetzt – parmi les | |
aveugles le borgné est roi. Wer wie ich zwey Augen hat ist es also ganz ge- | ||
wiß. – | ||
Ich tausche aber gleich mit Rothschild – der | ||
der dem Improvisator Langenschwartz einen Empfehlungsbrief an mich ge- | ||
April 1834 — HSA Bd. 21, S. 84 | ||
geben hat, so daß dieser langweilige Mensch mir diesen Morgen mit diesem | ||
Empfehlungsbrief seine Aufwartung gemacht und zwey volle Stunden ge- | ||
kostet hat. Das beste an ihm ist daß er Dich kennt und von Dir zu erzählen | ||
wußte daß Deine Geliebte in Petersburg ein wunderschönes Mädchen sey. – | ||
5 | Grüß mir Carl, über den ich sehr böse bin, da er mir nicht schreibt. Sag ihm | |
ich könnte ihm die schönsten Sachen schreiben. z. B. daß ich Benni Goldt- | ||
schmidt hier gesehen, welcher einen ungeheuer großen Schnurbart trägt, so | ||
daß wer ihn nicht kennt ihn für einen kalabresischen Banditen, kurz für einen | ||
wüthenden Bramarbas halten würde. Er ist aber doch noch der Alte, und wenn | ||
10 | er an der Wand den Schatten seines eigenen Schnurbarts sieht, erschrickt er. – | |
Grüße mir alles Unterrocksvolk in Hamburg, meine Mutter, Lotchen, meine | ||
drey Nichten, Madame Salomon Heine (vergiß nicht) Therese, Mademoiselle | ||
Anna &c &c – Hätte ich nur keine Kopfschmerzen. | ||
Dein Freund u Bruder | ||
15 | H. Heine. | |
Adresse | ||
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Herrn Doct Med Max | ||
von Heine | ||
aus Petersburg, zur Zeit | ||
in Hamburg. | ||