Lieber Heine! | ||
Am 7ten August schrieb ich Ihnen mit dem Havre Dampfschiff wie Sie es auf- | ||
gaben: »Post restante nach Boulogne«. | ||
Diesen Cours kenne ich nicht gehörig und weiß es nicht zu beurtheilen, ob | ||
dieser Weg überall zuverläßig ist? Antwort haben Sie mir nicht gegeben. Um | ||
15 | nun von meiner Seite Sie nicht im Unklaren zu laßen, so wähle ich zur Nach- | |
frage den Landweg: ob Sie in dessen Besitz gekommen sind? | ||
Soll, wie ich hoffe, in diesem Jahre von Ihnen noch etwas erscheinen, so | ||
wißen Sie, daß wir mit der Zeit nicht mehr zu scherzen haben! Den Drucker | ||
hatte ich bereits avertiert; dieser plagt mich. | ||
20 | In Brockhaus Blättern ist durch 5 Nummern, vor circa 3 bis 4 Wochen, der | |
Börnesche Aufsatz gegen Sie erschienen. Wie ich Ihnen früher schon sagte, | ||
daß der Reformateur seinen Giro machte, so geht es nun fort und pulsiert bis | ||
in die Winkelblätter herab. Ehrlich dürfen wir über dergleichen Reden; ich | ||
thue es, und muß Ihnen offen sagen, daß Sie dabei schlecht weg kommen. Für | ||
25 | Sie ist kein Advocat aufgestanden, alle stehen auf Börne's Seite. Ich sehe ein, | |
daß Sie Recht haben, dagegen nichts drucken zu laßen. | ||
Aber Sie müßen etwas anderes thun, das ist: Sie müßen durch irgend eine | ||
Publication alles dieses niederwerfen. Ich glaube in Ihrem Vorhaben die | ||
Absicht zu entdecken und Sie thuen gewiß sehr wohl daran! Aber, Freund, | ||
30 | zögern Sie nicht zu lange damit. Nicht etwa, als ob ich für Ihre Renomée etwas | |
fürchtete, das zu erhalten wird Ihnen nie schwer fallen; aber jeder hat Neider | ||
und besonders Sie haben deren, weil Sie manchem zu schnell gewachsen sind – | ||
und da wird eine solche Zeit gehörig benutzt, um altes verschimmeltes Zeug | ||
aufzusuchen und als frische Waare an den Mann zu bringen. | ||
35 | Diesen Unfug mögte ich niedergedonnert sehen! und daher meine Bitte, | |
die ich, als Statthalter Ihrer Ehre, an Sie richten muß! Rücken Sie sobald es | ||
September 1835 — HSA Bd. 24, S. 333 | ||
geht mit einer Arbeit vor, die den Burschen die Mäuler stopft. Sie kennen das | ||
Wesen der Literatur; was soll ich Ihnen von solchen Dingen sagen, die Sie | ||
vielleicht beßer als ich kennen. – Ist ein neues gefälliges Buch da, dann ist der | ||
Blitzableiter fertig. | ||
5 | Das ist nöthig, nach meiner Ansicht: unerläßlich nöthig, um nicht in Nach- | |
theil zu kommen. | ||
Ich brauche Ihnen nur Andeutungen zu geben, um verstanden zu werden. | ||
Hier gleichgültig zu seyn, wäre nicht verständig; denn es handelt sich um die | ||
Lebensfrage. | ||
10 | Die Spielerey in Kalisch hat schon Früchte getragen. Die Rußischen Muth- | |
wärmer – die Lieferanten – haben die Hälfte der Verpflegungsgelder säuber- | ||
lich in die PrivatCaße practisiert und so herrschte für die armen Soldaten, die | ||
Statisten der Comödie, nur Hunger, Kummer und Elend, während die hohen | ||
und Höchsten schwelgten. | ||
15 | Die Soldaten haben Revoltiert; Schaarenweise gehen sie über die Gränze, | |
drängen in die Dörfer Flecken und Städte und verlangten Lebensmittel oder | ||
droheten, zu sengen und zu brennen. – Es ist ein fürchterlicher Skandal dort | ||
gewesen –. Wie oder was, das berichten die Zeitungen nicht, – man sieht den | ||
Eiertanz ihnen an, wie sie um den Heißen Brei gehen; von Waßer Mangel und | ||
20 | derg. berichten, aber die W a h r h e i t umgehen. Heute Abend war ich bei | |
Runckel der Nachrichten ganz detailliert hatte; wir überlegten und Stutzten | ||
daran herum, damit der Censor nicht a l l e s wegstriche. – Ja am liebsten | ||
hätte er ganz geschwiegen, das geht nicht, da unsere Blätter für alte Weiber | ||
sich das Maul nicht haben g a n z verbinden laßen, sondern auf Ihre Weise | ||
25 | schon berichteten. – | |
Wir leben in einer kuriosen Zeit. | ||
Der Kaiser war in der Gegend von Breslau, so wie er davon hörte, ist er | ||
gleich an Ort und Stelle geeilt – was weiter geschehen, wie geendet, das wißen | ||
wir noch nicht. | ||
30 | Doch das sieht man aus allem, ein freudiges Gefühl hat diese theure und | |
Jahre lang vorbereitete Comödie nicht geweckt und fast scheint es mir, als | ||
klängen Mißtöne durch. Gott gebe es! Denn die Russen bringen der Welt | ||
nichts Gutes! | ||
Leben Sie wohl lieber Freund! und schreiben Sie bald | ||
35 | Ihr Julius Campe | |
Adresse | ||
Monsieur H. Heine | ||
Post restante a | ||
Boulogne | ||
– sur mêr – | ||
September 1835 — HSA Bd. 24, S. 334 | ||