Paris
den 10 August 1855. 

 
 Liebste Mutter,
   
 Erläuterung zu: Eurem letzten SchreibenSeit Eurem letzten Schreiben denke ich nun an gar nichts anderes als an das
 Erläuterung zu: freudige Wiedersehenfreudige Wiedersehen mit meiner lieben Schwester. Alles ist schon ver-
 abredet daß mein liebes Lottchen bei seiner Hierherkunft bei uns ein wohn-
30liches Zimmer findet, wo Lottchen und eine meiner Nichten (denn es wäre
 mir am allererfreusamsten, wenn sie Anna oder Lenchen mitbrächten) sich
 behaglich finden werden. Ja, es würde mir eine unendliche Freude sein, wenn
 Lottchen auch eins der lieben Kinder mitbrächte, Annchen oder Lenchen,
 gleichviel welche, denn beide sind mir gleich lieb und nur das Alter entschiede
35bei dem Vortritt. Wir wohnen sehr geräumig jetzt und alle Fremden welche
 hierherkommen, bewundern die schöne Aussicht und die gute Luft die wir
 
  August 1855 — HSA Bd. 23, S. 444
 
 genießen, so daß wir im glänzendsten Mittelpunkt von Paris uns befinden
 und doch wie auf dem Lande zu sein scheinen. Die letzte Woche waren Laube
 und seine Frau aus Wien hier und besuchten uns oft. Auch Friedland und seine
 Frau aus Prag. Dieser Mann hat, wie ich Euch einmal gemeldet, mir schon
5Erläuterung zu: des Schadenseinen Theil des Schadens ersetzt, worin ich durch ihn gerathen, und da ich
 Wechsel habe und er sehr reich ist, so verliere ich am Ende gar nichts. Auch
 Erläuterung zu: Dr. L., der mir ein EmpfehlungsschreibenDr. L. der mir ein Empfehlungsschreiben von Lottchen brachte, hat
 mich vor 8 Tagen besucht. Er scheint ein äußerst liebenswürdiger Mensch
 zu sein, hat ein gutes Aeußeres, spricht nicht dumm und hat mir versprochen
10mich bald wieder zu besuchen. Er bleibt noch 5 Wochen hier und ich sagte
 ihm, daß er Lottchen alsdann hier sehen würde. Meine Frau befindet sich wohl
 und sehr heiter. Ich leide noch immer an meinem alten Uebel, die Krämpfe,
 die zwar nicht sehr schmerzhaft sind, mich aber an jedem Lebensgenuß, be-
 Mitteilung zu: diplomatisire ichsonders aber am Arbeiten stören. Mit Campe diplomatisire ich noch immer,
15und wenn er sich auch auf den Kopf stellt, so lasse ich mich jetzt nicht mehr
 von ihm über den Löffel barbieren. Er muß heimlich auf mich sehr ergrimmt
 Erläuterung zu: b###246;se Streichesein und spielt mir gewiß allerlei böse Streiche im Dunkeln. Aber ich  l a v i r e 
 und am Ende erlange ich doch was ich will. Er wird wüthend sein, wenn er
 erfährt, daß Lottchen und Gustav nach Paris kommen. Schiff scheint sein
20Factotum zu sein und Lottchen wird sich in Acht nehmen.
   Meine Frau grüßt und küßt Euch herzlich und meine Wenigkeit thut des-
 gleichen. Ich umarme Dich zärtlich, meine gute, vortreffliche Mutter, und ich
 verbleibe mit innigster Liebe
 
Dein getreuer Sohn
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Harry Heine