Lieber Christiani! Wenn man gar zu viel zu schreiben hat so schreibt man gar | ||
nicht, das ist allgemein gebräuchlich, und mein langes Stillschweigen bedarf | ||
5 | also keiner besondern Entschuldigung. – Eigentlich wollte ich heute auch | |
noch nicht schreiben, das Wetter ist feucht und dumpf und in meinem Kopfe | ||
sieht es noch feuchter und dumpfer aus; aber ich muß doch die Correspondenz | ||
wieder in Gang bringen; ich melde Ihnen also daß ich noch lebe, weiter nichts. | ||
Vielleicht in meinem nächsten Briefe erzähle ich Ihnen daß ich eine Reise | ||
10 | gemacht, viele Menschen u Bestien gesehen u. s. w. Apropos: ich war auch | |
in Berlin. Diese Stadt liegt an der Spree, hat 150,000 Einwohner u 25 | ||
Seelen. Und eine Seele ist darunter die mich seelig machen könnte! O, Ihr | ||
Götter, bin ich noch nicht verrückt genug! Ich habe in Berlin viel antecham- | ||
brirt, viele höchstgnädige Blicke auf mich herabstralen lassen, alte Freund- | ||
15 | schaften fester geknüpft, gut gegessen, noch besser getrunken à la hafis, | |
hinlänglichen Weihrauch eingeathmet, etwelche Küsse empfangen, 30 Ld'or | ||
ausgegeben, rasend viel dummes Gewäsche angehört u köstliche Stunden | ||
genossen. – Ich bin es wirklich nicht werth daß so viele gute Menschen ihre | ||
Geduld übten indem sie mich ärgerlichen, verdüsterten, kopfschmerzigen | ||
20 | Menschen aufzuheitern u zu ergötzen suchten. Doch muß ich hinzusetzen | |
daß es mein armer Kopf wirklich noch nicht erlaubt daß ich mich in allzugroßen | ||
Menschenverkehr einlasse, u es war wirklich kein Eigensinn daß ich manche | ||
Liebeszuströmung ablehnte, und manchem Schönen und Guten geflissentlich | ||
auswich. Vous me connoissez. | ||
25 | Bey meiner Hinreise nach Berlin bin ich durch Magdeburg gekommen und | |
habe 4 Tage dort mit Immerman verlebt. Wir stimmen herrlich überein; haben | ||
uns redlich liebgewonnen. Vor meine Muse zieht Immerman sehr tief den | ||
Hut ab. Mit rührender Demuth hat er mir manche seiner Blößen bekannt, und | ||
ich habe daran ersehen daß er geistig noch größer ist als ich früher dachte. | ||
30 | Immermanns Aeußere ist nicht einnehmend; Ich sehe weit besser aus. Ueber- | |
haupt scheint ihm die Jugend zu mangeln. Dafür aber ist er auch ein Coloß an | ||
Kraft und Ruhe. Er will die Hohenstaufen schreiben in einem Cyklus von 9 | ||
Tragödien, und er sammelt jetzt die Materialien. Von dem bloßen Gedanken | ||
einer solchen Riesenarbeit könnte ich schon den Tod aufladen. An eine | ||
35 | Tragödie, die eine Magdalene zum Gegenstand hat, schreibt Immerman jetzt. | |
Ein neues Lustspiel „das Aug der Liebe“ läßt er bey Schulz u Wundermann | ||
jetzt drucken; so wie auch eine Uebers. des Scottschen Ivanhoe, wozu er | ||
eine Paralele zwischen Shakspeare u Scott schreiben wird. Eine kritische | ||
Mai 1824 — HSA Bd. 20, S. 163 | ||
Abhandlung über den Charakter des Fallstaff wird von ihm erscheinen in der | ||
münchener Zeitschrift: Orpheus. Er hat noch manches andre Critische unter | ||
der Feder gehabt; so wie ich auch den Anfang einer Charaktristik der Heineschen | ||
Tragödien unter seinen Papieren gesehen. Seine kritische Schrifft über Göthe | ||
5 | hält er selbst für nicht bedeutend. So wie er überhaupt noch nicht weiß worinn | |
eigentlich seine Force besteht. Wir haben viel über Göthe gesprochen, daß ich | ||
des rasenden Göthianers, der zu Lüneburg an der Amtskette liegt, oft erwäh- | ||
nen mußte versteht sich von selbst. An so viele meiner Gedanken knüpft sich | ||
jetzt Ihr Name, Lieber Christiani. Die freyherrlich von Sydowsche Schilderung | ||
10 | Immermanns paßt ganz und gar nicht. Letzterer hatte aber auch dem armen | |
Teufel gar zu schlimm mitgespielt. Bey einer schönen Dame, wofür beide | ||
flammten, wurde mit vertheilten Rollen Göthes Tasso gelesen; natürlich, der | ||
ritterliche Deklamator, der um zu brilliren sich die Rolle des Tasso genommen | ||
hatte, las dieselbe zu schulknabenhaft schlecht, und der boßhafte Immermann, | ||
15 | der den antonio übernommen hatte, las denselben etwas zu schulmeisternd gut | |
indem er manche Stellen zu anzüglich aussprach durch ironischen Blick und | ||
Betonnung mit den Worten des Antonio eigentlich den armen Baron aus- | ||
hunzte, bis derselbe pikirt und pikirter, aus der Fassung gebracht, und ordent- | ||
lich wüthend wurde. | ||
20 | Während ich dieses schreibe erfahre ich daß mein Vetter, Lord Byron, zu | |
Missolungi gestorben ist. So hat auch dieses große Herz aufgehört zu schlagen! | ||
Es war groß u ein Herz, kein kleines Eyerstöckchen von Gefühlen. Ja | ||
dieser Mann war groß, er hat im Schmerze neue Welten entdeckt, er hat den | ||
miserabelen Menschen und ihren noch miserableren Göttern prometheisch | ||
25 | getrotzt, der Ruhm seines Namens drang bis zu den Eisbergen Thules und bis | |
in die brennenden Sandwüsten des Morgenlandes. take him al in al, he was a | ||
man. Wir werden sobald nicht mehr seines Gleichen sehen. | ||
Ich habe überall Trauer ansagen lassen. Die englische Literatur steht jetzt nur | ||
noch auf zwey Augen – Scott und Moore. Unsere Literatur ist ganz und gar blind. | ||
30 | Es ist ein überaus schlechtes Wetter, daß ich fast glaube es ist von Clauren. | |
Meine „drey und dreyzig“ haben in Berlin höchst merkwürdige Schicksale | ||
gehabt. Bis zu dem Himmel erhoben als das extra-Neueste unserer Literatur, | ||
und dann wieder bis in den Koth herabkritisirt als geistlose Verirrung der Zeit. | ||
Man klagt der Ruhm habe mich verführt diese leichten Sachen sorglos eilig | ||
35 | hinzuschreiben, so daß die Spur solcher Flüchtigkeit überall sichtbar sey. | |
Letzteres schrieb mir auch mein Bruder aus Lüneburg, der in Hamburg viel | ||
kritisches über mich gehört haben will, z. B. daß ich kein Deutsch verstände. | ||
Der Redakteur der posener Zeitung, ein Pole, hat dieses ebenfals behauptet in | ||
seinen Streitschriften gegen mich. | ||
Mai 1824 — HSA Bd. 20, S. 164 | ||
Am Rhein u in Westfalen, hör ich sollen meine Tragödien zwar sehr viel | ||
gelesen, aber noch nicht so recht verstanden u goutirt werden. Desto mehr | ||
knoppert man behaglich an den Gedichten, über deren Rüdesse man noch | ||
allgemeine Klage führt. | ||
5 | ||
Doch die Kastraten klagten | ||
Als ich meine Stimm erhob; | ||
Sie klagten und sie sagten: | ||
Ich sänge viel zu grob. | ||
Und lieblich erhoben sie alle | ||
10 | Die kleinen Stimmelein, | |
Die Trillerchen, wie Kristalle, | ||
Sie klangen so fein und rein. | ||
Sie sangen von Liebessehnen, | ||
Von Lieb' und Liebeserguß! | ||
15 | Die Damen schwammen in Thränen | |
Bey solchem Kunstgenuß! | ||
Rousseaus „Buch der Sprüche“ so wie auch dessen Zeitschrift werden Sie | ||
durch meinen Bruder zu Gesicht bekommen haben. Er schreibt mir unendlich | ||
viel Liebes und fordert mich auf ihm Mitarbeiter für seine Zeitschrift zu | ||
20 | werben. Und da sollen Sie nun die ersten Laute meiner Werbetrommel zu | |
hören haben, und ich hoffe daß ich in 14 Tagen ein Paquetchen Prosa oder | ||
Verse zur Spedizion nach Cölln von dem Doctor Christiani erhalte. Ich bitte | ||
Sie, bezwingen Sie sich mahl etwas herauszulangen, Sie haben so viel gutes in | ||
Bänken und können wenn Sie wollen so viel Gutes liefern. Geben Sie die | ||
25 | Uebersetzungsfragmente aus dem dänischen, oder den Aufsatz über Göthe – | |
Geben Sie! Geben Sie! | ||
Ich bin in Berlin ebenfals sehr angegangen worden bald etwas Großes | ||
wieder herauszugeben u habe versprochen nächste Ostermesse 2 Bände zu | ||
liefern. In Bänken ist aber noch nichts außer Bagatellen; doch bin ich jetzt an | ||
30 | einer großen Novelle, die mir sehr sauer wird. Sobald diese fertig ist gehe ich an | |
die Tragödie u dann an eine längst projektirte wissenschaftliche Arbeit. Nur | ||
leide ich noch gar zu sehr an meinen Kopfschmerzen u bin gar zu sehr | ||
bedrückt von meinen juristischen Arbeiten. Beim alten Meister kriege ich die | ||
Pandekten los, u hoffe dies Jahr fertig zu werden. | ||
35 | Alsdann soll die Poeterey recht losgehn, denn im Grunde bessert es sich | |
auch mit meinem Kopfe immer mehr u mehr. – Indien und Mittelalter | ||
beschäftigen mich ebenfalls. – Ich lebe ganz isolirt, und ziehe mich von allen | ||
Mai 1824 — HSA Bd. 20, S. 165 | ||
Menschen zurück. Giebts doch nichts süßeres als die Pomade! Das hat schon | ||
Zizero gesagt. | ||
Ihren letzten Brief erhielt ich 1/2 Stunde vor meiner Abreise nach Berlin, | ||
und könnte sehr leicht sagen daß er zu spät angelangt sey um Ihren Auftrag in | ||
5 | Betreff der jouischen Uebersetzung ausführen zu können; – um nicht geste- | |
hen zu brauchen daß es mir trotz aller Mühe nicht möglich war. Mit den mir | ||
bekannten Buchhändlern habe ich vergebens deßhalb gesprochen, Christiani | ||
ist unbedeutend u mir unbekannt, überhaupt glaube ich nicht daß ein | ||
b e r l i n e r Buchhändler auf eine schon so verjährte französische Schrift reflek- | ||
10 | tiren würde; so wie ich auch das liter. Erscheinen mit s o l c h e r Ueber- | |
setzung als Ihrer ganz unwürdig halte. Geben Sie doch was Tüchtiges heraus. | ||
Der Tod Byrons hat mir so den Kopf verwirrt daß ich gar nicht weiß was ich | ||
schreibe u daß Sie Noth haben werden zu verstehen, was ich oben gesagt in | ||
meiner kauderwelschen Pomademanier. Indessen kann ich doch gut deutsch | ||
15 | schreiben wenn ich just will. – Schreiben Sie mir wie Ihnen Herr Spitta | |
gefallen hat, es ist ein reiner Jüngling, wovon Sie sich gewiß sehr angesprochen | ||
finden werden, u er hat auch eine Menge Lieder, Romanzen, Novellen, | ||
Opern, Tragödien u. s. w. gedichtet u wird mit den holden Klängen seiner | ||
Laute einst alle fühlende Herzen deutscher Jünglinge u Jungfrauen – | ||
20 | Ich werde hier wieder unterbrochen. Leben Sie wohl, Byron ist todt, schlecht | |
Wetter, seit 5 Uhr gearbeitet, Anwandlungen von Pietismus, schreiben Sie | ||
bald u seyn Sie überzeugt daß ich mit ganzer Seele bleibe | ||
Ihr Freund | ||
H. Heine. | ||
25 | wohne: bey Ebervein auf der Gronerstraße | |