Seite 1 des Originals Lüneburg d 26 Juny 1823. 
 Erläuterung zu: Lehmann
  
 Lieber Lehmann! Sie haben mich durch Ihren Brief und die mitgetheilten Blätter sehr erfreut.
 Was darinn über das Charaktristische meiner Poetereyen überhaupt gesagt
 Erläuterung zu: Mademoiselle Sobernheimist, fand ich sehr schön und erquiklich. – Wie befindet sich Mademoiselle
 Mitteilung zu: SobernheimSobernheim? Ich bedaure wirklich recht sehr, in diesem Augenblicke nicht in
 Berlin zu seyn, und ich gebe Ihnen den Auftrag das liebenswürdige Mädchen
 recht herzlich von mir zu grüßen. Sie gehört zu den schönsten, d. h. erfreulich-
 sten Bekanntschaften, die ich in Polen gemacht; Sie wissen ja, lieber Lehman,
 ich ging dort auf die Jagd nach reinen, gesunden Menschennaturen, die ich
 gut herauszufinden verstehe, da mir das Unreine und Kranke so genau be-
 kannt ist. Ich habe immer unter Jüdinnen die gesundesten Naturen gefunden,
 und ich kann es Gott Vater gar nicht verdenken daß er der bethlehemitischen
 Mitteilung zu: ein KindMaria ein Kind gemacht. – Was Sie in Betreff Rousseaus vermuthen scheint seine
 Richtigkeit zu haben. Ich bin seit 3 Monath u noch länger ohne Brief von
 Erläuterung zu: Kothihm, u habe Spuren daß er schon Koth herbeyschleppt um mich damit zu bewer-
 fen. Ich habe längst gewußt daß er sich mit meinen alten, grimmigsten Gegnern,
 Erläuterung zu: Tendenz des Almansorsmit den Aldeutschen wieder verbunden; und das Mißfallen, daß die Tendenz
 des Almansors am Rheine erregt, u welche Tendenz er selbst jetzt einsehen mag,
 wird dazu beygetragen haben einen eingeflößten Groll gegen mich aufkommen
 
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 Mitteilung zu: da###223;zu lassen. Mein Stillschweigen über seine Poetereyen ist es nicht, er weiß, daß
 Erläuterung zu: Beurtheilung derselbenich erst spät eine Beurtheilung derselben schreiben wollte; u diese ist jetzt
 schon geschrieben, ohne Lob u ohne Bitterkeit, u bleibt unverändert.
    Seite 2 des Originals Ich hoffe, daß dieser Brief, lieber Lehmann, Sie noch in Berlin findet. Wie
 können Sie glauben daß ein Stillschweigen von meiner Seite eine Gleich-
  gültigkeit bedeute? Wenn Sie irgend ein gutes Prinzip in mir annehmen, dürfen
 Sie das nicht glauben. Sie wissen, daß ich Ihnen auf so vielfache Weise ver-
 pflichtet bin, daß es eine schmutzige Undankbarkeit wäre – dieses aus dem
 Gedächtnisse zu verlieren. Sie sind fast der erste in Berlin gewesen der sich mir
 liebreich genaht, und bey meiner Unbeholfenheit in vielen Dingen, sich mir,
 auf die uneigennützigste Weise, freundlich und dienstfertig erwies. Es liegt in
 meinem Charakter, oder besser gesagt in meiner Krankheit, daß ich in Momen-
 ten des Mißmuths meine besten Freunde nicht schone und sie sogar auf die
 verletzendste Weise persiflire und malträitire. Auch Sie werden bey mir diese
 liebenswürdige Seite kennen gelernt haben, und hoffentlich in der Folge noch
 mehr kennen lernen. Doch müssen Sie nicht vergessen daß Giftpflanzen
 meistens dort wachsen wo ein üppiger Boden die freudigste und kräftigste
 Vegetazion hervorbringt, und daß dürre Haiden die von solchen Giftpflanzen
 Mitteilung zu: W###228;reverschont sind auch nur dürre Haiden sind. Wäre ich Doctor Gans so würde ich hier
 die brasilianischen oder afrikanischen Wälder und die Lüneburger Haide zitiren.
   Nun kömmt der eigentliche Anfang meines Briefes: Ich hätte Ihnen schon
 früher geschrieben, lieber Lehman, wenn mich nicht mein Unmuth und mein
 Unwohlseyn davon abgehalten hätten. Ich bin wahrlich noch immer sehr krank,
 und folglich verdrießlich, und folglich schreibe ich keine Zeile. Nur vor kleine
 Mitteilung zu: LiederLieder dann und wann kann ich mich nicht hüthen.  Seite 3 des Originals Dagegen sammelt sich in
 Erläuterung zu: viel poetischer Stoffmeinem Kopfe viel poetischer Stoff. Die Traumbilder stehen vor mir und
 Mitteilung zu: ganzeverlangen die ihnen gebührende Verse. Eine ganze neue fünfaktige und gewiß
 in jeder Hinsicht originale Tragödie steht dämmernd, doch mit ihren Haupt-
 umrissen, vor mir. Eine Menge rein wissenschaftlicher Aufsätze wollen ge-
 schrieben seyn, u – ich kann nichts thun. Ich lese jetzt die Alten, meistens
 Erläuterung zu: Hamburger Correspondentendie Römer, und das Allerneueste, den Hamburger Correspondenten. In 8 oder 10 Tagen
 zehn Tagen reise ich nach Hamburg, und wenn ich zurückkomme denke ich
 Ihnen viel erfreuliches zu schrei-
 ben. Es ist sehr wahrscheinlich daß ich auf einige Zeit nach Berlin zurück-
 komme. – Schreiben Sie mir bald, lieber Lehmann, wie es mit Ihnen, mit Ihrer
 Muse und mit unseren Freunden steht. Besonders sagen Sie mir was Gans macht;
 ich getraue mich nicht ihm zu schreiben; wenn ich ihm etwas mitzutheilen
 Erläuterung zu: ins Intelligenzblatthätte würde ich es gleich ins Intelligenzblatt setzen lassen. Sagen Sie ihm, daß
 
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 Mitteilung zu: andreich ihn liebe; – das ist die Hauptsache, alles andre ist Kohl; auch erwarte ich
 Mitteilung zu: setztdaß Sie, der alle Blätter ließt, mich gleich davon in Kenntniß setzt wenn irgend-
 Mitteilung zu: A<i>[Textverlust]</i>fallwo ein A[Textverlust]fall auf mich, besonders in Hinsicht der Religion,
 zu finden ist. Sie wissen, in wie fern mich das sehr interessirt. Hier bekomme
  ich nur dann u wann u zufällig ein Blatt zu Gesicht. –
 Ich habe noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben den Ratkliff aufgeführt zu
 Erläuterung zu: fetirtsehen, obschon ich keine Schauspieler kajolirt und keine Schauspielerin fetirt
 habe, und es überhaupt nicht verstehe etwas mühsam auf die Bretter hinauf zu
 schmuckeln. Ich denke das Schreiben u Sprechen über das Stück bringt es auf
 die Bühne. – Leben Sie wohl und bleiben Sie gewogen
 Ihrem Sie liebenden Freunde
 
H. Heine.
 Erläuterung zu: d Herren VeitGrüßen Sie mir d Herren Veit.
 Meine Addresse bleibt dieselbe wenn ich auch von hier abreise.
   
  
Adresse
   Seite 4 des Originals Herrn Joseph Lehmann
 pr Addresse d Herrn David Veit
 Heiligen Geist Straße No 35
 in
  B e r l i n .