|  | Lieber Lehmann! Sie haben mich durch Ihren Brief und die mitgetheilten Blätter sehr erfreut. |
|  | Was darinn über das Charaktristische meiner Poetereyen überhaupt gesagt |
|  | ist, fand ich sehr schön und erquiklich. – Wie befindet sich Mademoiselle |
|  | Sobernheim? Ich bedaure wirklich recht sehr, in diesem Augenblicke nicht in |
|  | Berlin zu seyn, und ich gebe Ihnen den Auftrag das liebenswürdige Mädchen |
|  | recht herzlich von mir zu grüßen. Sie gehört zu den schönsten, d. h. erfreulich- |
|  | sten Bekanntschaften, die ich in Polen gemacht; Sie wissen ja, lieber Lehman, |
|  | ich ging dort auf die Jagd nach reinen, gesunden Menschennaturen, die ich |
|  | gut herauszufinden verstehe, da mir das Unreine und Kranke so genau be- |
|  | kannt ist. Ich habe immer unter Jüdinnen die gesundesten Naturen gefunden, |
|  | und ich kann es Gott Vater gar nicht verdenken daß er der bethlehemitischen |
|  | Maria ein Kind gemacht. – Was Sie in Betreff Rousseaus vermuthen scheint seine |
|  | Richtigkeit zu haben. Ich bin seit 3 Monath u noch länger ohne Brief von |
|  | ihm, u habe Spuren daß er schon Koth herbeyschleppt um mich damit zu bewer- |
|  | fen. Ich habe längst gewußt daß er sich mit meinen alten, grimmigsten Gegnern, |
|  | mit den Aldeutschen wieder verbunden; und das Mißfallen, daß die Tendenz |
|  | des Almansors am Rheine erregt, u welche Tendenz er selbst jetzt einsehen mag, |
|  | wird dazu beygetragen haben einen eingeflößten Groll gegen mich aufkommen |
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|  | zu lassen. Mein Stillschweigen über seine Poetereyen ist es nicht, er weiß, daß |
|  | ich erst spät eine Beurtheilung derselben schreiben wollte; u diese ist jetzt |
|  | schon geschrieben, ohne Lob u ohne Bitterkeit, u bleibt unverändert. |
|  | Ich hoffe, daß dieser Brief, lieber Lehmann, Sie noch in Berlin findet. Wie |
|  | können Sie glauben daß ein Stillschweigen von meiner Seite eine Gleich- |
|  | gültigkeit bedeute? Wenn Sie irgend ein gutes Prinzip in mir annehmen, dürfen |
|  | Sie das nicht glauben. Sie wissen, daß ich Ihnen auf so vielfache Weise ver- |
|  | pflichtet bin, daß es eine schmutzige Undankbarkeit wäre – dieses aus dem |
|  | Gedächtnisse zu verlieren. Sie sind fast der erste in Berlin gewesen der sich mir |
|  | liebreich genaht, und bey meiner Unbeholfenheit in vielen Dingen, sich mir, |
|  | auf die uneigennützigste Weise, freundlich und dienstfertig erwies. Es liegt in |
|  | meinem Charakter, oder besser gesagt in meiner Krankheit, daß ich in Momen- |
|  | ten des Mißmuths meine besten Freunde nicht schone und sie sogar auf die |
|  | verletzendste Weise persiflire und malträitire. Auch Sie werden bey mir diese |
|  | liebenswürdige Seite kennen gelernt haben, und hoffentlich in der Folge noch |
|  | mehr kennen lernen. Doch müssen Sie nicht vergessen daß Giftpflanzen |
|  | meistens dort wachsen wo ein üppiger Boden die freudigste und kräftigste |
|  | Vegetazion hervorbringt, und daß dürre Haiden die von solchen Giftpflanzen |
|  | verschont sind auch nur dürre Haiden sind. Wäre ich Doctor Gans so würde ich hier |
|  | die brasilianischen oder afrikanischen Wälder und die Lüneburger Haide zitiren. |
|  | Nun kömmt der eigentliche Anfang meines Briefes: Ich hätte Ihnen schon |
|  | früher geschrieben, lieber Lehman, wenn mich nicht mein Unmuth und mein |
|  | Unwohlseyn davon abgehalten hätten. Ich bin wahrlich noch immer sehr krank, |
|  | und folglich verdrießlich, und folglich schreibe ich keine Zeile. Nur vor kleine |
|  | Lieder dann und wann kann ich mich nicht hüthen. Dagegen sammelt sich in |
|  | meinem Kopfe viel poetischer Stoff. Die Traumbilder stehen vor mir und |
|  | verlangen die ihnen gebührende Verse. Eine ganze neue fünfaktige und gewiß |
|  | in jeder Hinsicht originale Tragödie steht dämmernd, doch mit ihren Haupt- |
|  | umrissen, vor mir. Eine Menge rein wissenschaftlicher Aufsätze wollen ge- |
|  | schrieben seyn, u – ich kann nichts thun. Ich lese jetzt die Alten, meistens |
|  | die Römer, und das Allerneueste, den Hamburger Correspondenten. In 8 oder 10 Tagen |
|  | zehn Tagen reise ich nach Hamburg, und wenn ich zurückkomme denke ich |
|  | Ihnen viel erfreuliches zu schrei- |
|  | ben. Es ist sehr wahrscheinlich daß ich auf einige Zeit nach Berlin zurück- |
|  | komme. – Schreiben Sie mir bald, lieber Lehmann, wie es mit Ihnen, mit Ihrer |
|  | Muse und mit unseren Freunden steht. Besonders sagen Sie mir was Gans macht; |
|  | ich getraue mich nicht ihm zu schreiben; wenn ich ihm etwas mitzutheilen |
|  | hätte würde ich es gleich ins Intelligenzblatt setzen lassen. Sagen Sie ihm, daß |
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|  | ich ihn liebe; – das ist die Hauptsache, alles andre ist Kohl; auch erwarte ich |
|  | daß Sie, der alle Blätter ließt, mich gleich davon in Kenntniß setzt wenn irgend- |
| ![Mitteilung zu: A<i>[Textverlust]</i>fall](mitteilung) | wo ein A[Textverlust]fall auf mich, besonders in Hinsicht der Religion, |
|  | zu finden ist. Sie wissen, in wie fern mich das sehr interessirt. Hier bekomme |
|  | ich nur dann u wann u zufällig ein Blatt zu Gesicht. – |
|  | Ich habe noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben den Ratkliff aufgeführt zu |
|  | sehen, obschon ich keine Schauspieler kajolirt und keine Schauspielerin fetirt |
|  | habe, und es überhaupt nicht verstehe etwas mühsam auf die Bretter hinauf zu |
|  | schmuckeln. Ich denke das Schreiben u Sprechen über das Stück bringt es auf |
|  | die Bühne. – Leben Sie wohl und bleiben Sie gewogen |
|  | Ihrem Sie liebenden Freunde |
|  | H. Heine. |
|  | Grüßen Sie mir d Herren Veit. |
|  | Meine Addresse bleibt dieselbe wenn ich auch von hier abreise. |
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Adresse |
| | Herrn Joseph Lehmann |
|  | pr Addresse d Herrn David Veit |
|  | Heiligen Geist Straße No 35 |
|  | in |
|  | B e r l i n . |
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