Schöne generose Friedrike!
   
 Wenn man seit 5 Uhr am Arbeitstisch gehockt u über einen Druckbogen
5geschrieben hat, darf man schon um Mittagzeit müd und dumm seyn; um
 so mehr wenn man kranken Kopfes ist.
 Erläuterung zu: Brief  Ich darf aber doch nicht länger zaudern Ihnen für Ihren letzten Brief zu
 danken, für diesen wunderbaren Frühlingsbrief, der mich vor Entzücken ins
 Freye trieb – freylich die alte Wehmuth kam auf ihren eisernen Krücken bald
10nachgehinkt. – Wir beiden sind doch die zwey besten Schriftstellerinnen
 Deutschlands! wir können die Herzen von Grund auf bewegen.
   Da Sie meine Gedanken kennen, so errathen Sie leicht was ich jetzt denke.
 Der Stolz bricht mir den Hals. – Kommen kann ich nicht, wenigstens noch
 nicht in den ersten Tagen, aus zwey Ursachen; die erste weiß ich selbst nicht,
15Erläuterung zu: mit all meinen Arbeitendie zweite aber besteht darinn, daß ich July mit all meinen Arbeiten fertig seyn
 Erläuterung zu: dann gehts fortwill – und dann gehts fort, weit, weit fort.
   Ein ganz einsamer Robinson bin ich hier nicht mehr. Einige Offizire sind
 Erläuterung zu: im Neuen Gartenbey mir gelandet, Menschenfresser. Gestern Abend im Neuen Garten gerieth
 ich sogar in eine Damengesellschaft, und saß zwischen einigen dicken Pots-
20Erläuterung zu: Apoll dammerinnen, wie Apoll unter den Kühen des Admet.
   Vorgestern war ich in Sanssouzi, wo alles glüht u blüht, aber wie! du
 Erläuterung zu: ein gew###228;rmterheiliger Gott! das ist alles nur ein gewärmter, grünangestrichener Winter,
 und auf den Terrassen stehen Fichtenstämmchen, die sich in Orangenbäume
 Mitteilung zu: spatziertemaskirt haben. Ich spatzierte umher und sang im Kopfe:
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 Du moment qu'on aime, – l'on devient si doux!
 Mitteilung zu: EtEt je suis moi-même – aussi tremblant que vous.
 Erläuterung zu: in Zemire und AzorDas singt nemlich das Ungeheur in Zemire und Azor. Ich armes Ungeheur,
 ich armer verwünschter Prinz, bin so kummerweich gestimmt, daß ich sterben
 möchte. Und ach! wer todt zu seyn wünscht, der ist es schon zur Hälfte. Mein
30großes humoristisches Werk habe ich wieder bey Seite gelegt, und mache
 Erläuterung zu: die italienische Reisemich jetzt aufs neue an die italienische Reise, die den 3ten Theil der Reisebilder
 Erläuterung zu: mitfüllen soll, und worin ich mit allen meinen Feinden Abrechnung halten will.
 Ich habe mir eine Liste gemacht von allen denen, die mich zu kränken ge-
 sucht, damit ich, bey meiner jetzigen weichen Stimmung keinen vergesse. Ach,
35krank und elend wie ich bin, wie zur Selbstverspottung, beschreibe ich jetzt
 die glänzendste Zeit meines Lebens, eine Zeit, wo ich, berauscht vor Ueber-
 muth und Liebesglück, auf den Höhen der Appeninen umherjauchzte, und
 große, wilde Thaten träumte, wodurch mein Ruhm sich über die ganze Erde
 
  Mai 1829 — HSA Bd. 20, S. 359
 
 Mitteilung zu: zurverbreite, bis zur fernsten Insel, wo der Schiffer des Abends am Herde von mir
 Erläuterung zu: seit dem Tode meines Vaterserzählen sollte; jetzt, wie bin ich zahm geworden, seit dem Tode meines Vaters!
 jetzt möchte ich auf so einer fernen Insel nur das Kätzchen seyn, das am warmen
 Heerde sitzt und zuhört, wenn von berühmten Thaten erzählt wird.
5  Ich bin so niedergeschlagen, so zusammengedrückt, so beengt – ach ich
 Erläuterung zu: Mimimöchte ein Kätzchen seyn! Grüßen Sie mir Mimi – – – Auch Ihren Haus-
 kater lasse ich herzlich grüßen; ebenfalls alle Nachbarschaftskatzen. Auch Varn-
 hagens. Leben Sie wohl, u behalten Sie lieb
   
 
Ihre kleine Freundin
10Potsdam ohne Datum                              H. Heine.
 
1829.
   
  
Adresse
  An Ihre Wohlgeboren
 Madame Friedrike Robert
 Geborene Braun.
 in
  B e r l i n . 
 Leipziger Straße No 110.
 2te Etage