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Ich habe Ihnen nichts zu sagen als was die ganze Welt hier weiß, nemlich daß | ||
gestern Abend Ihr „Trauerspiel“ bey gutbesetztem Hause und gutem Spiel, mit | ||
20 | dem würdigsten Beyfall aufgenommen wurde. Zum ersten mahl seit sechs | |
Monathen war ich wieder im Theater, in Gesellschaft lieber Damen, deren | ||
Lippen allerliebst aussahen als sie das Lob Immermanns aussprachen. | ||
Heute habe ich Kopfschmerzen, da das Theater und besonders wenn ich ein | ||
ganzes Stück ansehe, mich immer angreift. Aber dafür war ich gestern desto | ||
25 | gesund glücklicher! Gestern Morgen habe ich den Grafen Platen ausgepeitscht | |
und gestern Abend Carl Immerman applaudirt. Zu ersterem Geschäfte, das | ||
erst zur Hälfte gediehen, habe ich doch endlich gehen müssen, habs lang genug | ||
aufgeschoben, und ich selbst war eben so wie die Anderen sehr neugierig was | ||
i c h thun würde. Sie, Immerman, haben den Richter gespielt, ich will den | ||
30 | Scharfrichter spielen, oder vielmehr recht ernsthaft darstellen. | |
hat in Berlin nur Unwillen erregt; desto-mehr wird er hier von einer gewissen | ||
Clique, die mit dem Grafen steißlich einverstanden ist, sehr goutirt. Sein Leib- | ||
freund Rumohr, der große Koch, der die ganze Souppe eingerührt, ist gestern | ||
arrivirt und ich bin gefaßt auf die jämmerlichsten Machinazionen. Ich sprach | ||
35 | ihn zuletzt in Italien, und erst von ihm erfuhr ich, daß Platen eben durch eine | |
November 1829 — HSA Bd. 20, S. 367 | ||
Xenie von Ihnen so sehr in Harnisch gekommen. Ich kann vor lauter Lachen | ||
nicht schreiben. Unglückliche Xeine, Sie hat mich ins Verderben gestürzt! | ||
Hätte ich Zeit, ich würde Ihnen die schrecklichsten Vorwürfe machen! Aus | ||
Rache soll Ihnen der 3te Theil der Reisebilder dedizirt werden, und ich denke | ||
5 | Ihnen das Buch in 4 bis 5 Wochen zu schicken. Ich hatte Ihnen freylich ein | |
besseres Buch zugedacht, aber ich darf diese Gelegenheit nicht vorübergehn | ||
lassen, Ihnen eben das Buch zu präsentiren worin die Spolia opima des großen | ||
Champion der Classizität enthalten sind. Ich spreche in Ernst, ich hatte Ihnen | ||
etwas Besseres zugedacht – aber das Z e i t g e m ä 2 2 3 ; e hat auch seinen Werth. | ||
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sogar gut russisch, was jetzt soviel ist wie ultrapreußisch. Wenn es mir möglich, | ||
besuche ich Sie nächstes Jahr. – Durch den Tod meines Vaters war ich lange | ||
trübsinnig, u erst jetzt komme ich a l l m ähl i g wieder in bessere Stimmung. | ||
Ich bleibe noch einige Monate hier. – Ihren Friedrich habe ich mit Ent- | ||
15 | zücken gelesen. Er ist mir unendlich lieber als der Hofer, den ich, so hoch ich | |
ihn verehre, dennoch am wenigsten, unter Ihren Stücken, liebe. Gestern Abend | ||
freylich gefiel er mir besser als bey der Lektüre; als ich ihn las kam es mir vor | ||
als sey er in gedrückt krankhafter Stimmung geschrieben. Köstlich machten | ||
sich gestern Abend die Tyrolerlieder während in der Ferne geschossen wurde. | ||
20 | Lenz hat gut gespielt. Schön Elsi vortrefflich. Der letzte Akt, poetisch der | |
schönste, war theatralisch der schwächste. Bis zum vorletzten Akt erhielt sich | ||
im Publikum die athemschöpfende Erwartung, die herzklopfende Spannung; | ||
aber der letzte Akt enthielt keinen Theatralischen Reitz, und einen wohl- | ||
bekannten Ausgang. | ||
25 | will jetzt das Stück nochmals lesen und nächstens sage ich Ihnen mehr darüber. | |
– Meine Addresse ist: Hoffman u Campe. Es freut mich daß Campe Ihre | ||
sämmtliche Schriften herausgiebt. Je n'y ai pas nui. – Sämtliche Redaktoren | ||
cottascher Zeitschriften sind mir feindlich, im Morgenblatt verstümmeln sie | ||
meine Aufsätze, aufs schändlichste. Der alte Cotta selbst ist sehr brav. Einige | ||
30 | Abende vor meiner Abreise von München, als ich ihm sagte, daß in seinem | |
Verlage das Platensche Pasquil erscheine, sagte er mir, daß ich es mir von | ||
seinen Leuten geben lassen solle. Es hätte mir nur ein Wort gekostet und der | ||
Druck wäre unterblieben. Aber ich lehnte es ab, wie Sie wohl denken können. | ||
Leben Sie wohl, herzinnig wohl. Ich liebe Sie sehr, denke täglich an Sie. | ||
35 | Empfehlen Sie mich Gut- und Gleichgesinnten. Alle Damen, die Ihnen lieb | |
sind, umarme ich; ich erlaube Ihnen – nemlich à distance – alle Damen, die | ||
ich liebe, ebenfalls zu umarmen. | ||
Ihr Freund | ||
H. Heine. | ||
November 1829 — HSA Bd. 20, S. 368 | ||