Lieber Varnhagen! Ich will Ihnen nur sagen daß ich lebe, zwar just nicht zu | ||
meinem Vergnügen wie Fr. v. Varnhagen es gewiß wünscht, aber ich lebe den- | ||
noch. In dieser tollen Zeit ist es schwerer als je Briefe zu schreiben, wenn man | ||
nicht just bestimmtes sagen, melden, erbitten oder anzubieten hat. Des Welt- | ||
25 | allgemeinen ist zu viel um es brieflich zu besprechen, das persönlichst Wichtige | |
ist wieder zu gringfügig in Vergleichung der großen Dinge die täglich ohne | ||
unser Zuthun passiren. Werden die Dinge von selbst gehen, ohne Zuthun | ||
der Einzelnen? Das ist die große Frage, die ich heute bejahe morgen wieder | ||
verneine, und von welcher Selbstbeantwortung immer meine besondere | ||
30 | Thätigkeit influenzirt, ja, ganz bestimmt wird. | |
Als ich nach dem letzten July bemerkte wie der Liberalismus plötzlich so | ||
viel Mannschaft gewann, ja wie die ältesten Schweitzer des alten Regime | ||
plötzlich ihre rothen Rökke zerschnitten um Jakobinermützen davon zu | ||
machen, hatte ich nicht üble Neigung mich zurückzuziehen u Kunstnovellen | ||
April 1831 — HSA Bd. 20, S. 435 | ||
zu schreiben. Als die Sache aber lauer wurde, u Schreckensnachrichten wenn | ||
auch falsche, aus Polen anlangten und die Schreyer der Freyheit ihre Stimmen | ||
dämpften, schrieb ich eine Einleitung zu einer Adelschrift die Sie in 14 Tagen | ||
erhalten, und worin ich mich, bewegt von der Zeitnoth, vielleicht vergallopirt | ||
5 | und – Sie werden der absichtlichen Unvorsichtigkeiten genug drin finden | |
u diese so wie auch den angstschnellen schlechten Styl billigst entschuldigen. | ||
Unterdessen schrieb ich noch tolleres, welches ich in den Ofen warf, als es | ||
sich wieder erfreulicher gestaltete – Und jetzt? Jetzt glaube ich an neue | ||
Rückschritte, bin voller schlechten Profezeihungen – und träume jede Nacht | ||
10 | ich packe meinen Koffer u reise nach Paris, um frische Luft zu schöpfen, | |
ganz den heiligen Gefühlen meiner neuen Religion mich hinzugeben, und viel- | ||
leicht als Priester derselben die letzten Weihen zu empfangen. – Für Ihre | ||
freundliche Beantwortung meines letzten Buches meinen nachträglichen Dank. | ||
Auch für das Conversazionsblatt. Ueber den Salondemagogen haben Andre | ||
15 | noch mehr gelacht als ich. Der Witz ist gewiß richtig, aber er kann mir mal | |
den Kopf kosten. | ||
Hier lebe ich noch immer in trübster Bedrängniß. Mit dem besten Willen, | ||
sehe ich wohl ein, kann ich die Weißheit der Regierungen nicht für mich be- | ||
nutzen, und es bleibt mir nichts übrig als mich vor ihren Thorheiten zu sichern. | ||
20 | – In München geht es schlecht, wie ich höre. Hätte mein Freund Schenk | |
mich nicht den Jesuiten sakrifizirt, so würde ich ihm jetzt vom großen Nutzen | ||
seyn können, ohne daß meine Prinzipien darunter zu leiden brauchten. Treu- | ||
losigkeit und Wortbruch haben mich aber von dieser Seite so sehr irritirt, daß | ||
ich die deutschen Polignacs jetzt selbst hängen könnte. – Gegen Preußen | ||
25 | bin ich ebenfalls bitter gestimmt, aber nur wegen der allgemeinen Lüge, deren | |
Hauptstadt Berlin. Die liberalen Tartüffe dort ekeln mich an. Viel Indignazion | ||
wuchert in mir. – Genug davon. – Sie brauchen auf Briefe an mich nicht | ||
meinen Namen zu setzen, sondern nur die Addresse meiner Mutter, die Ihre | ||
zierliche Handschrift kennt, u mir die Briefe unerbrochen zukommen lassen | ||
30 | wird. – Leben Sie wohl, u bitten Sie Fr. v. V. mir zu schreiben. | |
Roberts grüße ich. So wie auch Gans gelegentlich. Der Fürst Pükler hat mir | ||
nicht geschrieben, das ist mir leid, sehr leid. Wie gehts ihm? – Mit voller | ||
Seele | ||
Ihr ergebener | ||
35 | H. Heine. | |
Adresse | ||
Sr Hochwohlgeboren | ||
des Herrn Geh. Legazionsrath | ||
A. Varnhagen von Ense, | ||
in | ||
B e r l i n . | ||
Mauerstraße | ||
April 1831 — HSA Bd. 20, S. 436 | ||