Hamburg d 1 April 1831. 
  

 
 Lieber Varnhagen! Ich will Ihnen nur sagen daß ich lebe, zwar just nicht zu
 meinem Vergnügen wie Fr. v. Varnhagen es gewiß wünscht, aber ich lebe den-
 noch. In dieser tollen Zeit ist es schwerer als je Briefe zu schreiben, wenn man
 nicht just bestimmtes sagen, melden, erbitten oder anzubieten hat. Des Welt-
25 allgemeinen ist zu viel um es brieflich zu besprechen, das persönlichst Wichtige
 ist wieder zu gringfügig in Vergleichung der großen Dinge die täglich ohne
 unser Zuthun passiren. Werden die Dinge von selbst gehen, ohne Zuthun
 der Einzelnen? Das ist die große Frage, die ich heute bejahe morgen wieder
 Mitteilung zu: vonverneine, und von welcher Selbstbeantwortung immer meine besondere
30Thätigkeit influenzirt, ja, ganz bestimmt wird.
 Erläuterung zu: nach dem letzten July  Als ich nach dem letzten July bemerkte wie der Liberalismus plötzlich so
 Mitteilung zu: wieviel Mannschaft gewann, ja wie die ältesten Schweitzer des alten Regime
 plötzlich ihre rothen Rökke zerschnitten um Jakobinermützen davon zu
 machen, hatte ich nicht üble Neigung mich zurückzuziehen u Kunstnovellen
 
  April 1831 — HSA Bd. 20, S. 435
 
 Erläuterung zu: Schreckensnachrichtenzu schreiben. Als die Sache aber lauer wurde, u Schreckensnachrichten wenn
 auch falsche, aus Polen anlangten und die Schreyer der Freyheit ihre Stimmen
 Erläuterung zu: Einleitung zu einer Adelschriftdämpften, schrieb ich eine Einleitung zu einer Adelschrift die Sie in 14 Tagen
 erhalten, und worin ich mich, bewegt von der Zeitnoth, vielleicht vergallopirt
5und – Sie werden der absichtlichen Unvorsichtigkeiten genug drin finden
 u diese so wie auch den angstschnellen schlechten Styl billigst entschuldigen.
 Unterdessen schrieb ich noch tolleres, welches ich in den Ofen warf, als es
 sich wieder erfreulicher gestaltete – Und jetzt? Jetzt glaube ich an neue
 Mitteilung zu: R###252;ckschritteRückschritte, bin voller schlechten Profezeihungen – und träume jede Nacht
10ich packe meinen Koffer u reise nach Paris, um frische Luft zu schöpfen,
 Erläuterung zu: meiner neuen Religionganz den heiligen Gefühlen meiner neuen Religion mich hinzugeben, und viel-
 Erläuterung zu: Ihreleicht als Priester derselben die letzten Weihen zu empfangen. – Für Ihre
 freundliche Beantwortung meines letzten Buches meinen nachträglichen Dank.
 Erläuterung zu: f###252;r das ConversazionsblattAuch für das Conversazionsblatt. Ueber den Salondemagogen haben Andre
15noch mehr gelacht als ich. Der Witz ist gewiß richtig, aber er kann mir mal
 den Kopf kosten.
   Hier lebe ich noch immer in trübster Bedrängniß. Mit dem besten Willen,
 sehe ich wohl ein, kann ich die Weißheit der Regierungen nicht für mich be-
 nutzen, und es bleibt mir nichts übrig als mich vor ihren Thorheiten zu sichern.
20Erläuterung zu: In M###252;nchen geht es schlecht– In München geht es schlecht, wie ich höre. Hätte mein Freund Schenk
 Erläuterung zu: mich nicht den Jesuiten sakrifizirtmich nicht den Jesuiten sakrifizirt, so würde ich ihm jetzt vom großen Nutzen
 seyn können, ohne daß meine Prinzipien darunter zu leiden brauchten. Treu-
 losigkeit und Wortbruch haben mich aber von dieser Seite so sehr irritirt, daß
 Erläuterung zu: die deutschen Polignacsich die deutschen Polignacs jetzt selbst hängen könnte. – Gegen Preußen
25bin ich ebenfalls bitter gestimmt, aber nur wegen der allgemeinen Lüge, deren
 Hauptstadt Berlin. Die liberalen Tartüffe dort ekeln mich an. Viel Indignazion
 Mitteilung zu: Genugwuchert in mir. – Genug davon. – Sie brauchen auf Briefe an mich nicht
 meinen Namen zu setzen, sondern nur die Addresse meiner Mutter, die Ihre
 zierliche Handschrift kennt, u mir die Briefe unerbrochen zukommen lassen
30wird. – Leben Sie wohl, u bitten Sie Fr. v. V. mir zu schreiben.
 Erläuterung zu: Der F###252;rst P###252;klerRoberts grüße ich. So wie auch Gans gelegentlich. Der Fürst Pükler hat mir
 nicht geschrieben, das ist mir leid, sehr leid. Wie gehts ihm? – Mit voller
 Seele
 
Ihr ergebener
35
H. Heine.
   
  
Adresse
  Sr Hochwohlgeboren
 des Herrn Geh. Legazionsrath
 A. Varnhagen von Ense,
 in
  B e r l i n . 
 Mauerstraße
 
  April 1831 — HSA Bd. 20, S. 436