Ich stürze mit der Türe ins Haus. – Nachdem die Weidmannsche Buchhand- | ||
lung mir und Gustav Schwab die Redaktion des weiland Wendtschen Musen- | ||
30 | almanach übertragen hat, liegt es mir ob, alles zu tun, was in meinen Kräften | |
Februar 1832 — HSA Bd. 24, S. 107 | ||
steht dieses Institut emporzuhalten, und ich bekenne, daß ich mich von Anfang | ||
an dafür interessiert habe. Es schien mir wünschenswert, in dieser gar ernsten | ||
Zeit, wo der Gesang verhallt, der deutschen Muse eine kleine Freistatt zu er- | ||
halten. Die Besten, meinte ich, sollten durch ihren Beitritt die Sache begrün- | ||
5 | den und befestigen und die Concurrenz allen und jedem eröffnet sein nach | |
Maßgabe der eigenen Kräfte ohne Rücksicht auf Namen und Rang. | ||
Also, mein reicher, vielmögender Freund, komme ich betteln an Ihre Türe. | ||
Ich bettle, sage ich, und zwar selbst ohne Hoffnung, daß mir gereichet werde, | ||
was schon andern hartnäckig abgeschlagen worden ist. Es ist sehr wahr, daß | ||
10 | man sich zum Singen und Dichten nicht zwingen soll und darf, aber wir sind | |
der Meinung, daß, wo der ungezogene Liebling der Grazien wollte, manches | ||
Gedichtlein, nach welchem Deutschland begierig haschen würde, abfallen | ||
muß, die Spur seiner Fußstapfen zu bezeichnen. | ||
Eilend noch zur Nachricht: der ungeheure Staub, den der Herr August | ||
15 | Wilhelm VON Schlegel im diesjährigen Almanach aufgeregt hat, hat uns ver- | |
anlaßt, die Urfehde abschwören zu lassen und den Gottesfrieden auszurufen. | ||
Zur Einsendung bestimmte Zeit: Ostern. Dixi et salvavi animam. | ||
Ich habe gerne die Gelegenheit ergriffen, mich freundlichst Ihrem Anden- | ||
ken zurückzurufen, ja, ich wünschte wohl, ich könnte heute oder morgen | ||
20 | (wie 1830 in Hamburg geschehen) Austern mit Ihnen essen au rocher de Can- | |
cale und von dieser Höhe beobachten, wie die Welt sich so unablässig all- | ||
mälig dreht von Osten in Westen, ohne sich irren zu lassen. Ich wünsche Ihnen | ||
Glück, mein köstlicher Freund, zu Ihrem jetzigen Aufenthalt in der inter- | ||
essanten großen Fabrikstadt der modernen Welthistorie, wo Sie die Suppe | ||
25 | einbrocken sehen, die sodann manchem, der nicht daran dachte, zum Aus- | |
fressen aufgetischt wird; aber das Volk hat weder Kopf noch Magen. Sie | ||
konnten dem Kaiser von China schreiben, daß er sich vorsehen möge; er | ||
hätte jetzt noch Zeit. | ||
Leben Sie recht wohl und gedenken Sie meiner in Güte. | ||
Adelbert v. Chamisso. | ||
30 | 15. Januar 1832. | |
Adresse | ||
Herrn Dr. H. Heine Wohlgeboren | ||